Berner Obergericht beurteilt Amtsmissbrauch durch einen Polizisten
Das Berner Obergericht entscheidet über Polizisten, der wegen Amtsmissbrauchs und Tätlichkeiten verurteilt wurde.
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In einem Berufungsprozess beugt sich das Berner Obergericht seit Dienstag über den Fall eines Polizisten, der im September 2023 wegen Amtsmissbrauchs und Tätlichkeiten zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt wurde. Die Verteidigung forderte erneut einen Freispruch, die Staatsanwaltschaft eine Bestätigung des Schuldspruchs.
Der Vorfall spielte sich im Juni 2021 beim Berner Bahnhof ab. Einer Polizeipatrouille war bei der Heiliggeistkirche ein torkelnder Mann aufgefallen, den sie zur Kontrolle anhalten wollte. Der Mann wehrte sich und wurde zu Boden gebracht.
Einer der Polizisten soll dem Mann sein rechtes Knie auf den Hals gelegt haben, um ihn zu fixieren. Ein anderer Polizist beförderte den schliesslich mit Handschellen auf dem Rücken gefesselten Mann unsanft in einen Kastenwagen.
Zufällige Zeugen berichten von «verstörender Aktion»
Zufällig anwesende Medienschaffende der Berner Tamedia-Zeitungen beobachteten das Geschehen und berichteten danach über eine «Verstörende Aktion der Berner Kantonspolizei».
Das Regionalgericht Bern sprach im September 2023 den Polizisten, der den Mann am Boden fixiert hatte, vom Vorwurf des Amtsmissbrauchs und der Tätlichkeiten frei.
Seinen Kollegen, der den Angehaltenen mit unnötiger Härte in den Wagen bugsierte, verurteilte es zu einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 110 Franken und zu einer Busse von 600 Franken.
Während der Freispruch rechtskräftig wurde, hat der verurteilte Polizist den Fall ans Obergericht weitergezogen.
Angeklagter Polizist spricht vor Gericht
Der angeschuldigte Polizist sprach am Dienstag vor Obergericht von einem absolut normalen, alltäglichen Fall. Gegen aussen könne eine Anhaltung schon grob aussehen. Er habe den Angehaltenen nicht in den VW-Bus der Polizei gestossen, vielmehr sei der Mann, der nicht sicher auf den Beinen war, beim Einsteigen über einen Tritt gestolpert und nach vorne in das Fahrzeug gefallen.
Die Verteidigerin hielt diese Aussage für glaubwürdig und verlangte einen Freispruch des Polizisten. Auf die Zeugenaussagen der Medienschaffenden könne das Gericht hingegen nicht abstellen. Die Medienschaffenden hätten sich mit dem Angehaltenen solidarisiert und den Polizisten in ihrer Berichterstattung vorverurteilt.
Kritik an Medienberichten
Aus dem Zeitungsartikel ging hervor, dass der Polizist den angehaltenen Mann wie einen Kartoffelsack in den Dienstwagen geworfen habe. Mit dieser Formulierung habe man zum Ausdruck bringen wollen, dass der Mann nicht wie ein Mensch, sondern wie ein Gegenstand behandelt worden sei, sagte einer der Zeugen am Dienstag. Der Polizist habe den Mann mit Wucht in den Wagen befördert.
Die Anhaltung am Bahnhof habe offenbar allen Medienschaffenden Eindruck gemacht, stellte die Staatsanwältin fest. Dies heisse aber nicht, dass sie sich mit den Angehaltenen solidarisiert hätten. Die Aussagen der Journalistinnen und Journalisten seien präzis, differenziert, vorsichtig und stimmig.
Staatsanwaltschaft fordert Bestätigung des Schuldspruchs
Wäre der Angehaltene tatsächlich gestolpert und gestürzt, hätte dies bei dem Polizisten irgendeine Reaktion hervorgerufen. Etwa, dass er sich um den Gestürzten gekümmert hätte. Das habe der Ordnungshüter aber nicht getan, wie verschiedene Medienschaffende übereinstimmend ausgeführt hätten.
Der Mann sei deshalb des Amtsmissbrauchs und der Tätlichkeiten schuldig zu sprechen und die erstinstanzliche Strafe zu bestätigen, verlangte die Staatsanwaltschaft.
Der Fall warf seinerzeit hohe Wellen, auch weil der kantonale Sicherheitsdirektor, Regierungsrat Philippe Müller (FDP), die «Berner Zeitung» und den «Bund» heftig für ihre Medienberichterstattung in dem Fall kritisierte.
Vergleich mit George Floyd
Die Anhaltung in Bern sei von Anfang an auf die gleiche Stufe gestellt worden, wie die Tötung des Afroamerikaners George Floyd durch einen US-Polizisten im Jahr 2020. Der Polizist hatte Floyd fast zehn Minuten lang das Knie in den Nacken gedrückt. Damit habe man die Berner Polizisten in ein komplett schiefes Licht gerückt und vorverurteilt.
Die Chefredaktion der beiden Titel wehrte sich gegen Müllers Kritik. Die Berichterstattung sei «ausgewogen und so präzise und umfassend wie möglich» gewesen. Einen Vergleich zum Fall Floyd in den USA habe man nicht gezogen. Das Obergericht wird sein Urteil am Mittwochnachmittag bekannt geben.