Bern: Bub (3) fährt alleine Bus - Passagiere sind empört
In Bern ist ein Kleinkind alleine in einen Bus gestiegen – zum Ärger des Busfahrers und der anderen Passagiere. Doch die Situation könnte positive Seiten haben.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein kleiner Bub ist in der Berner Gemeinde Köniz scheinbar alleine in den Bus gestiegen.
- Der Fahrer rief besorgt nach den Eltern – welche hinten, ohne Blick auf ihr Kind, sassen.
- Die Situation sorgte bei den Passagieren für Kritik.
Der ganze Bus dreht sich nach ihm um. Mitte Juni steigt in der Berner Gemeinde Köniz – gleich an der Stadtgrenze – ein kleiner Bub in den Bus. Mutterseelenallein.
Der 10er-Bus, der in die Stadt fährt, ist rappelvoll. Es ist Mittagszeit, viele sind auf dem Weg zum Lunch und müssen im Bus stehen. Der Kleine – geschätzt dreijährig – steht schon alleine an der Haltestelle Dübystrasse. Er drückt mit seinen Fingerchen die Türöffnung, lächelt den verwunderten Busfahrer an, und setzt sich auf einen der roten Sitze.
Als wärs das Normalste der Welt.
Der Busfahrer runzelt die Stirn. Gleich hinter der Bushaltestelle liegt ein grosser Spielplatz. Kommen die Eltern gleich nach? Eine Minute lang passiert nichts.
Bub nicht im Sichtfeld der Eltern
Ein Raunen geht durch den Bus, alle haben mitgekriegt, dass ein Kleinkind alleine unterwegs ist.
«Zu wem gehört der Bub hier vorne?», ruft der Fahrer durch den Bus. Alle schauen sich um, niemand meldet sich. Der Busfahrer verrührt die Hände und wartet.
Erst nach einer weiteren langen Minute schreit jemand aus der Mitte des Fahrzeugs: «Hinten! Die Eltern sitzen hinten.» Im Sichtfeld haben sie ihren Sprössling so nicht. Er fährt also alleine Bus.
Der Fahrer schüttelt den Kopf, flucht, verwirft die Hände. Sagt dem Kleinen, er soll sich gut festhalten. Dann geht die Fahrt weiter.
Fremde sollen Kind miterziehen
Ein Passagier ganz vorne holt aus: «Früher hat man noch auf seine Kinder aufgepasst. Heute erwarten Eltern, dass Fremde ihre Kinder miterziehen.» Der ältere Mann beruhigt sich erst, als der Bus nach fünf Minuten am Bahnhof Bern ankommt.
Haben die Eltern wirklich etwas falsch gemacht?
Laut TCS-Ratgeber für «Kinder im ÖV» nicht. «Es gibt kein Mindestalter für den ÖV», sagt Mediensprecherin Vanessa Flack.
«Natürlich haben Eltern immer eine Aufsichtspflicht, und jedes Kind ist in seiner Entwicklung unterschiedlich weit», so Flack weiter. Der TCS engagiert sich aber – in Zusammenarbeit mit der Polizei – stark für die Verkehrserziehung. «Unser Ziel ist es, Kinder bei der Entwicklung ihrer Mobilität zu begleiten.»
Steigerung der Selbstständigkeit
Den ÖV alleine zu nutzen, steigere die Selbstständigkeit, das Selbstvertrauen und die Anpassungsfähigkeit von Kindern. Dabei ist egal, ob der Weg zur Schule oder zu ausserschulischen Aktivitäten führt.
«Gleichzeitig ist die Sicherheit ein wichtiges Thema», führt Flack aus. Auch wenn es sich hierbei um eine sichere Art des Pendelns handelt – braucht es eine gute Vorbereitung. Dabei ist das Üben und stetige Wiederholen enorm wichtig. So können Kinder verschiedene Situationen kennenlernen.
Schliesslich findet man sich im ÖV schnell in «einer Schar von fremden Menschen» wieder, heisst es auf der TCS-Webseite. «Um sich dran zu gewöhnen, braucht es gute Erklärungen und ein paar Versuche.» Kinder müssen sich nicht nur an die Regeln und Abläufe im ÖV gewöhnen, sondern auch an die anderen Fahrgäste. Aber, so der TCS, «diese Schwierigkeiten sind nicht unüberwindbar».
Strecke spielt wichtige Rolle
Ähnlich sieht Bernmobil die Situation. «Ob ein Kind den ÖV selbstständig benützen kann, hängt von der Reife des Kindes ab», sagt Mediensprecher Rolf Meyer. «Sowie von der Strecke.» Wenn ein Kind beispielsweise gewohnt ist, regelmässig eine einfache Strecke eigenständig zu fahren, stelle dies normalerweise kein Problem dar.
Konkrete Vorschriften für Eltern gibt es keine. «Grundsätzlich gilt auch im ÖV die Aufsichtspflicht», so Meyer weiter. «Sie tragen die Verantwortung dafür, wenn ihr Kind alleine unterwegs ist.» Das Fahrpersonal steht Kindern beim Reisen aber «selbstverständlich» mit Rat und Tat beiseite.
Meyer führt aus: «Falls ein Kind sich verloren fühlt, organisieren wir via Leitstelle die notwendige Unterstützung. Damit das Kind an sein gewünschtes Ziel oder wieder in die Obhut der Eltern gelangt.»