Chaos bei Ski-Saisonstart: Beiz-Gäste beleidigen Kellnerin
Die Skisaison ist eröffnet. Damit geht auch in Bergbeizen die Winter-Saison richtig los. Das Personal braucht eine dicke Haut. Viele Gäste haben kaum Geduld.
Das Wichtigste in Kürze
- Beim Ski-Saisonstart kommt es in einer Beiz im Berner Oberland zu hitzigen Szenen.
- Die Gäste zeigen sich ungeduldig, der Ton ist rau. Auch andere Orte berichten Ähnliches.
- Psychologin Leena Hässig erklärt, warum es zu solchen Szenen kommt. Trotz Traum-Wetter.
Sonnenschein, perfekte Pisten, kaum Anstehen am Lift und dann auch noch eine feine Rösti zum Zmittag. Klingt nach perfektem Skitag. Eigentlich.
Kurz nach dem Ski-Saisonstart kommt es am Mittag auf der Terrasse eines Berg-Restaurants* im Berner Oberland aber zu hitzigen Szenen. Dass Anfang Saison noch nicht alles perfekt eingespielt ist, interessiert viele Gäste nicht.
«Sie haben einen Kafi bestellt?», fragt die perfekt Hochdeutsch sprechende Kellnerin am Tisch eines Paares mittleren Alters nach.
«Gar nichts haben wir bestellt! Wir konnten noch gar nichts bestellen – kommen wir auch noch dran?», schiesst der Mann in rauem Ton zurück.
Die Service-Angestellte entschuldigt sich, schaut sich um, geht zwei Tische weiter. «Entschuldigen Sie, ist das Ihr Kaffee?»
«Cappuccino! Cappuccino ist für mich – aber lange warte ich nicht mehr», kommentiert dieser Gast. Als er Sekunden später seine «Älplermaggaroni» bestellt, fragt die Kellnerin den Begriff kurz nach.
«Makkaroni, Maggronen – wie muss ich es sagen, damit es auch Sie verstehen?», beleidigt er sie. Trotzdem bleibt sie freundlich, notiert seine Bestellung mit einem Lächeln.
Unerfahrenes Personal: «... zuerst das warme Essen, nicht den Kuchen»
Das Ganze schaukelt sich hoch. Im hinteren Ende der Beiz wird ein Kellner gar abschätzig hergeschnippt und -gefuchtelt.
Eine ältere Frau steht auf, geht zum Ausgang. Dort warnt sie die nächsten Gäste: «Überlegen sie es sich gut, hier herrscht Chaos.»
Die teils aggressiven Reaktionen sorgen auf der Terrasse auch für Kopfschütteln. Dass die Zündschnur so kurz ist, ist nicht für wenige unverständlich.
«Wie man sich an einem solchen Tag so aufregen kann ...», kommentiert jemand.
Wer von der Terrasse nach drinnen geht, dem wird klar, dass sich viele Service-Kräfte noch in der Einfindungsphase befinden. «Paolo**, bitte bring jeweils zuerst das warme Essen. Nicht den Kuchen», so eine der Anweisungen.
Gegenüber Nau.ch will das Berg-Restaurant auf Anfrage keine Auskunft geben. Ungeduldige Gäste gibt es aber keineswegs nur im Berner Oberland.
Auch nicht geöffnete Abfahrten sorgen für Skifahrer-Stunk
So zum Beispiel auch im Panoramarestaurant auf dem Titlis. «Wir stellen fest, dass die Erwartungen unserer Gäste hoch sind. Die Ungeduld ist insbesondere in den ersten Tagen der Saison vorhanden», sagt Urs Egli von den Titlis Bergbahnen.
Ungeduld gibt es nicht nur im Restaurant. «Es geht häufig auch um Themen wie nicht geöffnete Abfahrten, Wartezeiten oder Anpassungen in der Infrastruktur.»
Schneelage, Technik oder andere Faktoren: «Gäste äussern ihren Unmut manchmal direkt bei unserem Personal oder über digitale Kanäle.»
Einerseits sei es verständlich, da sich viele auf die Skisaison gefreut hätten, so Egli. Man nehme die Rückmeldungen ernst.
Andererseits sei die Wahrnehmung, «was perfekt ist», individuell unterschiedlich. «Wir wünschen uns manchmal in den ersten Wochen der Saison etwas mehr Geduld.»
Skifahrer kommen geladen in Beiz – Personal «gefundenes Fressen»
Dass Menschen geladen ins Restaurant kommen, sei oftmals eine persönliche Geschichte, sagt die selbstständige Psychologin Leena Hässig.
Zum Beispiel: «Nicht alle Skifahrer sind sportlich, kommen erschöpft in die Beiz. Ein Trick hat nicht funktioniert, das Kind hat gepinkelt, die Ausrüstung aus dem Estrich ist nicht mehr perfekt. Dann ist eine lange Wartezeit oder eine falsch gebrachte Bestellung sogenannt gefundenes Fressen, um Dampf abzulassen.»
Zudem würden Menschen, die viel Geld für einen Skitag zahlen, erwarten, dass «alles wie durch Butter geht».
Gäste spüren, wenn Angestellte unsicher sind
Es gibt aber einen weiteren Faktor. «In der Gastronomie gibt es unter anderem einen Fachkräftemangel, die Stellen sind schwierig zu besetzen. Das bringt es mit sich, dass die Leute oft nicht ausreichend ausgebildet oder sehr kurzfristig eingestellt wurden.»
Umso wichtiger wäre es, dass Führungskräfte klare Anweisungen geben, gut einarbeiten und zu 100 Prozent hinter den Service-Angestellten stehen. Wird einer der Punkte nicht erfüllt, so führe dies zu Unsicherheit im Betrieb, so die Beraterin bei der Fachstelle Gewalt. «Und der Boden für Differenzen ist die Unsicherheit.»
Ein Gast spüre genau, wenn Mitarbeiter im Betrieb unsicher sind, «dann entsteht die Möglichkeit für eine Angriffsfläche. In einem Betrieb, wo das Team zusammenhält, ist es deutlich schwieriger anzugreifen.»
In einem Fünf-Sterne-Restaurant würden sich Gäste kaum getrauen, sich so zu verhalten.
«Weil da das Team zusammenspielt und damit Selbstsicherheit ausstrahlt. Wenn eine sichere Person mit Rückhalt vom Team und Führung vom Gast beschimpft wird, kann sich das Personal wehren. Und zum Beispiel sagen: ‹Nehmen sie ihre Lunchbox mit und sitzen Sie in den Schnee.›»
Es gibt Good News: «Viele haben ausreichend Beschäftigte»
Gastrosuisse kommentiert gegenüber Nau.ch: «Gastfreundschaft ist das oberste Gut, dieses kann aber auch überstrapaziert werden, wenn Gäste unerfüllbare Forderungen stellen.»
Gerade für Berg-Restaurants sei die Personalplanung wegen der hohen Nachfrageschwankung eine grosse Herausforderung. Eine Umfrage liefert nun aber Good News.
«In diesem Jahr zeichnet sich eine leichte Entspannung ab. Viele unserer Mitglieder haben ausreichend Beschäftigte.»
* Restaurant-Name bekannt.
** Name geändert.