Coronavirus: ADHS-Diagnosen nehmen bei Schweizer Kindern zu
Der Lockdown infolge des Coronavirus hat in der Schweiz bei Kindern zu einer Zunahme von ADHS geführt. Doch längst nicht alle litten unter dem Homeschooling.
Das Wichtigste in Kürze
- Deutsche Experten registrierten eine Zunahme von ADHS-Kindern durch den Lockdown.
- Auch in der Schweiz hat die Diagnose bei Kindern durch die Pandemie deutlich zugenommen.
- Kinderarzt Roland Kägi klärt über die Gründe und Lösungsansätze auf.
Mit ADHS bezeichnet man seit über 30 Jahren eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, welche häufig im Kindesalter beginnt. Im Klassenzimmer kann sich das Kind kaum stillhalten oder es platzt mit Antworten heraus, bevor Fragen zu Ende gestellt wurden. Dabei handelt es sich um eine genetische Veranlagung, doch ungünstige soziale Faktoren können die Symptome verstärken. Gerade der Lockdown infolge des Coronavirus hat Kindern mit ADHS laut einem Medienbericht aus Deutschland zu schaffen gemacht.
Das ist auch in Schweiz der Fall, wie der Kinderarzt Roland Kägi auf Anfrage von Nau.ch bestätigt. Er ist Vorstandsmitglied der Schweizer Fachgruppe ADHS und ärztlicher Leiter der Jugendpsychologie Krone in Zürich. «Seit der Corona-Pandemie sind die ADHS-Diagnosen bei Kindern um etwa 50 Prozent angestiegen.»
Homeschooling wegen Coronavirus ist nicht für alle ein Segen
Für den Anstieg macht Kägi zwei Gründe verantwortlich: «Zum einen dekompensierten die bereits vor der Pandemie verhaltensauffälligen Kinder deutlich häufiger im Homeschooling. Zum anderen bekamen die Eltern im Homeschooling sehr oft die Einsicht, dass ihre Kinder ja wirklich Probleme haben.» Zuvor hätten Eltern häufig den Lehrpersonen die Schuld gegeben und die Probleme ihrer Kinder bestritten.
Doch nicht für alle Kinder mit ADHS hätte das Lernen zu Hause aufgrund des Coronavirus negative Folgen gehabt. «In 50 Prozent der Fälle profitierten die Kinder im Homeschooling durch Wegfall der ablenkenden Klasse. Dies führte zu einer Symptomverbesserung. Bei den anderen 50 Prozent verschlechterten sich die Symptome infolge des Wegfalls der Lehrerstützung», so Kägi.
Um ADHS zu behandeln, wird nach geltenden internationalen und europäischen Leitlinien eine medikamentöse Therapie mit Methylphenidat durchgeführt. Auch besser bekannt unter dem Namen Ritalin. Der Einsatz ist jedoch umstritten, da eine dauerhafte Veränderung des Gehirns befürchtet wird, welche bislang nie bewiesen werden konnte. Um den Medikamenteneinsatz zu dezimieren, wünschen sich deutsche Ärzte und Kinderpsychologen kleinere Klassen und mehr Schulpsychologen.
Anwendung von Ritalin als effizientester Lösungsansatz
Beide Ansätze hätten ihre Vor- und Nachteile, beurteilt es Kägi. So könnten mehr Schulpsychologen mehr schulische Stützung verordnen. Aber: «In vielen Schulgemeinden liegen diesbezüglich keine zusätzlichen Ressourcen vor.»
Und auch Kleinklassen können laut dem Kinderarzt in der Beschulung von Kindern mit ADHS hilfreich sein. «Diese würden die Kinder aber ungenügend auf den ungestützten Arbeitsmarkt vorbereiten.»
Der effizienteste Lösungsansatz sieht Kägi in der Stimulanzien-Medikation: «Wenn man die Natur der ADHS versteht, ist klar: Stimulanzien-Medikation ist erwiesenermassen die effizienteste Massnahme, um den ADHS-bedingten Dopaminmangel im Gehirn zu vermindern.» Unter Stimulanzien-Medikation versteht man die Anwendung von Medikamenten aus der Methylphenidatgruppe wie Ritalin unter Festlegung einer bestimmten Dosierung.
Unter Stimulanzien könnten die Kinder mit ADHS deutlich besser und einfacher potenzialentsprechende Leistungen erbringen.