Coronavirus: Mehr Kinder mit ADHS-Störung wegen des Lockdowns
Wegen des Lockdowns infolge des Coronavirus leiden Kinder nun vermehrt unter dem ADHS-Syndrom. Ärzte fordern – statt Pillen – pragmatische Lösungen.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Corona-Jahr 2020 hat Kindern mit ADHS zu schaffen gemacht.
- Um die Stresssituation zu bändigen, griffen viele Eltern zu Methylphenidat.
- Ärzte und Kinderpsychologen fordern eine Stärkung der Schulen.
2020 war wohl für die wenigsten ein einfaches Jahr – auch für die Jüngsten unter uns nicht. Weltweit gab es für 90 Prozent der Kinder keinen durchgängigen, geregelten Unterricht. Die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler hat wohl darunter gelitten, einige sind besonders stark betroffen.
Als Kitas, Schulen und Vereine dichtmachen mussten, haben viele unruhige oder unkonzentrierte Kinder eine ADHS-Diagnose bekommen, berichtet der «Spiegel». Nun hat sich ihr normales Verhalten in den Bereich des psychisch Gestörten verlagert, das seither mit Medikamenten behandelt wird.
Auch chinesische Forscher haben bei Schulkindern mit zuvor bestehendem ADHS eine solche Verschiebung festgestellt: Während des Covid-19-Ausbruchs wurden die Symptome der Buben und Mädchen deutlich stärker.
Körperliche Aktivität immens wichtig
Als Lösung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung griffen viele Eltern zu Medikamenten. Das bemerkte auch Ärztin Caroline Maxton, wie sie gegenüber dem «Spiegel» erzählt: «Als der Unterricht ausfiel, haben viele Eltern zu Hause selbst festgestellt, wie schwer sich ihr Kind tut, sich zu konzentrieren. Das hat dazu geführt, dass bei mehr Kindern Medikamente eingesetzt werden.»
Besonders die alltägliche Bewegung, etwa durch den Schulweg oder auch in Sportvereinen, habe den Kindern gefehlt. Für Kinder mit ADHS-Neigung sei das fatal, so die Ärztin Maxton, weil körperliche Aktivität einen Teil der Therapie darstelle.
In ihrer Praxis behandelt Maxton jedes Quartal bis zu 900 Kinder, die meisten ohne Tabletten. Von Anfang 2020 bis Anfang 2021 habe sie 30 Prozent mehr Kinder mit Medikamenten behandelt als im Vorjahreszeitraum. Die Zunahme zeigt, wie stark die Umwelt ein Kind beeinflusst.
Coronavirus: Schulen müssten durch Politik und Gesellschaft gestärkt werden
Bei den Medikamenten handelt es sich um Methylphenidat, bekannt unter den Handelsnamen Ritalin, Concerta, Equasym oder Medikinet. Das Mittel wird oft gegeben, weil ein Kind im Unterricht zu unkonzentriert erscheint.
Doch Methylphenidat hat auch bekannte Nebenwirkungen wie Tic-Störungen oder Appetitlosigkeit. Auch ist noch nicht klar, ob jahrelanger Konsum das Gehirn dauerhaft verändert. Deshalb versuchen Ärzte und Kinderpsychologen das Mittel bei der Behandlung von Zeit zu Zeit abzusetzen.
Kinderpsychologe Thomas Meinhart ist der Meinung, dass Politik und Gesellschaft die Schulen stärken müssten. «Zwei Lehrer pro Klasse und mehr Schulpsychologen, wenn das käme, brauchten wir weniger Medikamente», ist sich Meinhart sicher.
Auch Ärztin Maxton bläst ins selbe Rohr: «Die Klassen müssen kleiner werden. Eine Grösse von zehn bis 15 Schülern ist zum Lernen optimal – und für Kinder mit ADHS dringend notwendig.»