Coronavirus: Darum gibt es immer weniger Schwerkranke
Das Wichtigste in Kürze
- Die Neuinfektionen nehmen zu – zuletzt ging jedoch die Zahl der Hospitalisierungen zurück.
- Die Risikogruppe werde in der Schweiz gut geschützt, schlussfolgert ein Uni-Infektiologe.
- Es gebe keine Anzeichen, dass das Virus an sich harmloser werde.
Die Neuinfektionen mit dem Coronavirus nehmen zu – das lässt sich nicht von der Hand weisen. Doch die aktuelle Situation ist völlig anders als in der ersten Welle.
Auf dem Höhepunkt im März wurden nur dreimal so viele Fälle registriert wie jetzt. Doch das Virus schlägt inzwischen scheinbar deutlich weniger hart zu: Im April starben fast täglich 50 Menschen am Virus, nun sind es zwischen null und zwei. Erfreulicherweise steigt die Hospitalisierungs-Rate seit Wochen nicht an.
Was ist für die niedrigen Zahlen verantwortlich, und was bedeutet das für die aktuelle Situation?
Vergleiche mit der ersten Welle kaum möglich
Tatsächlich ist die gemessene Todesrate drastisch gesunken: In der ersten Welle starben fünf Prozent der registrierten Infizierten, mittlerweile sind es nur noch etwa 0,4 Prozent.
Dafür gibt es zahlreiche Gründe – allen voran die hohe Dunkelziffer der Neuinfektionen mit dem Coronavirus zu Beginn. Jeder Corona-Tote wurde wohl registriert, inzwischen wird dank Contact Tracing auch fast jeder Infizierte getestet. Das war im März und April noch ganz anders: Tatsächlich dürften sich im März deutlich mehr als dreimal so viele infiziert haben als aktuell.
Verbesserungen in der medizinischen Behandlung und ein besserer Schutz der Risikogruppe haben einen weiteren Beitrag zur Senkung der Todesrate geleistet.
Warum nehmen die Hospitalisierungen ab?
Die erste Welle und die aktuelle Entwicklung lassen sich also klar abgrenzen. Doch in den letzten zwei Monaten nahmen die Hospitalisierungen leicht ab, während die Neuinfektionen zunahmen. Das lässt sich nicht ganz so leicht herleiten.
Huldrych Günthart, stellvertretender Direktor der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich, erklärt: Eine wissenschaftliche Studie, welche das Sinken der Hospitalisierungen erklärt, gebe es noch nicht.
Günthard, der sich täglich mit den am Coronavirus erkrankten Personen auseinandersetzt, hat jedoch eine Hypothese: «Vielleicht liegt es daran, dass weniger Reisende zurückkommen.»
Gerade aus verschiedenen Balkanländern kehrte eine signifikante Anzahl mit einer Corona-Infektion zurück: «Wir hatten bei uns viele Fälle, in denen sich Menschen auf Reisen im familiären Umfeld angesteckt haben. Darunter waren auch ältere Menschen und solche mit Risikofaktoren.»
Während sich die Risikogruppen in der Schweiz gut schützen, liessen auch ältere Personen den Familienurlaub nicht aus. Möglicherweise war die Hospitalisierungs-Quote unter den infizierten Reise-Rückkehrern höher, mutmasst der Infektiologe. Mittlerweile ist die Feriensaison vorbei, wer sich aktuell in der Schweiz ansteckt, ist meist jünger und muss nicht in Spital.
Das Coronavirus wird nicht harmloser
Günthard schlussfolgert: «Das wäre ein positives Signal, es würde bedeuten, dass die Massnahmen in der Schweiz hinsichtlich des Schutzes der Risikogruppen wirken. Die Infektionen unter den Jungen nehmen weiterhin zu. Jetzt ist die Herausforderung, die Ansteckungen weiterhin von Risikopersonen fernzuhalten.»
Anzeichen, dass das Virus an sich harmloser wird, gebe es nicht: «Die Virenpopulation ist weiterhin sehr divers. Es gibt keinen neuen Virenstamm, der sich bei uns durchsetzt und weniger pathogen wäre», erklärt Günthard angesichts des aktuellen Forschungsstands.
Zweite Welle, oder nicht?
Bundesrat Alain Berset erklärte vergangene Woche, dass man nicht von einer zweiten Welle sprechen könne. Das stimme nur zum Teil, gibt Günthard zu bedenken: «Im Mai hatten wir praktisch keine Neuinfektionen mehr. Im Juni hat es dann wieder angezogen und geht kontinuierlich, wenn auch noch nicht exponentiell nach oben.»
Bei den schwer Erkrankten könne man derzeit nicht von einer Welle reden, findet auch der Infektiologe. «Die Erkrankungen sind aber nicht vernachlässigbar. Wir haben inzwischen wieder kontinuierlich Spitalpatienten. Nach der ersten Welle hatten wir zuerst keine Fälle mehr.»
Im Moment sei die Lage unter Kontrolle: «Ums Gesundheitssystem muss man sich noch im Moment noch keine Sorgen machen. Wir sind noch länger nicht am Limit. Steigen die Zahlen jedoch weiter, müssen wir bald wieder eigene Covid-Stationen einrichten, die Patienten effizient und optimal behandeln zu können. Das wäre für uns wieder eine grosse Herausforderung.»