Coronavirus: Nicht mal Experten sind sich bei Homeoffice einig
Die Schweiz ist im Homeoffice – Segen oder Fluch? Die Meinungen gehen auseinander. Klar ist, dass das Homeoffice auch nach dem Coronavirus bleiben wird.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Schweizer verbringen dreimal soviel Zeit im Homeoffice wie vor der Krise.
- In der Krise kann dabei die Produktivität sinken – aber nicht bei allen.
- Langfristig wird das Homeoffice deutlich verbreiteter bleiben.
Das Coronavirus hat unser Leben grundlegend verändert. Besonders tiefgreifend sind die Veränderungen im Arbeitsalltag: Viele Arbeitnehmer arbeiten seit Monaten von zu Hause aus – in manchen Unternehmen gilt seit einem Jahr das Homeoffice.
Wie wirkt sich das auf unsere Leistungen aus? Ronnie Grob, Chefredaktor des «Schweizer Monat», sorgt sich in einem Nau.ch-Gastbeitrag um die Arbeitsmoral: «Vielleicht rauchen sie auch schon mal einen Joint am Nachmittag.» Als Folge prognostiziert er die Abwanderung von Arbeitsplätzen in Billiglohn-Länder.
Nau.ch-Kolumnist Reda El-Arbi hält dagegen: Wenn Unternehmen Arbeitsplätze ausgliedern wollen, hätten sie das bereits vor der Krise getan.
Das Thema «Homeoffice» bewegt die Schweizer – und auch die Wissenschaft und Wirtschaft. Diese kommen zu eigenen Schlüssen.
Studie: Mitarbeitende im Homeoffice 13 Prozent produktiver
Bereits vor der Krise beschäftigten sich immer mehr Unternehmen mit dem Thema Homeoffice. 2015 führte der chinesische Reiseanbieter «Ctrip» das Homeoffice als Pilotversuch ein. Begleitet wurde dies von einer Studie des renommierten Stanford-Wirtschaftsprofessors Nicholas Bloom.
Der Versuch zeigte: Die Mitarbeitenden im Homeoffice waren rund 13 Prozent produktiver als jene, die im Büro arbeiteten. Und damit nicht genug – deutlich weniger Heim-Arbeiter kündigten ihren Job. Ausserdem konnten die Kosten für Büroräumlichkeiten gesenkt werden.
Der Versuch zeigte sich für «Ctrip» so erfolgreich, dass das Unternehmen das – freiwillige – Homeoffice dauerhaft einführte.
Homeoffice-Pflicht verändert Rahmenbedingungen
Nicholas Bloom zog in seiner «Ctrip»-Studie ein äusserst positives Fazit. Dennoch zeigte er sich angesichts des Homeoffice in Zeiten des Coronavirus besorgt. Das Problem sei allerdings nicht einfach die mangelnde Arbeitsmoral.
In der Zeitschrift «Stanford News» erklärte Bloom die signifikanten Unterschiede zum Homeoffice auf freiwilliger Basis. «Wir arbeiten von zu Hause aus, umgeben von unseren Kindern, in ungeeigneten Räumen und ohne Büro-Tage. Das wird ein Produktivitäts-Desaster für die Unternehmen.»
Viele dürften inzwischen gut mit den Tücken des unfreiwilligen Homeoffice vertraut sein: Eltern müssen Kinderbetreuung und Arbeit vereinbaren. Wer kein Arbeitszimmer hat, arbeitet im Schlafzimmer.
Nicht zuletzt könne auch soziale Isolation zum Problem werden: Die Hälfte der Mitarbeiter von «Ctrip» im Heim-Versuch kehrte freiwillig an den Arbeitsplatz zurück. «Sie berichteten, sich isoliert, einsam und deprimiert zu fühlen», so Bloom zu «Stanford News».
HR-Verband bezüglich Homeoffice optimistisch
Aufgrund des Coronavirus war 2020 ohnehin ein Krisenjahr. Ob und wie viel die Homeoffice-Pflicht zu den Verlusten der Wirtschaft beigetragen hat, ist nur schwer zu differenzieren.
Ganz so düster wie Nicholas Bloom sieht es Stefan Emmenegger, Geschäftsführer des schweizerischen HR-Verbands, allerdings nicht. Natürlich brauche es eine gewisse Gewöhnungsphase, in der die Produktivität sinken könne. Aber: «Viele Arbeitnehmende haben sich mittlerweile gut an diese Arbeitsform gewöhnt, was sich entsprechend positiv auf die Produktivität auswirkte.»
ZKB-Studie: Homeoffice wird auch nach dem Coronavirus bleiben
Klar ist, dass das Homeoffice auch nach der Krise bleiben wird. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Zürcher Kantonalbank zum Geschäft der Kiosk- und Bahnhofsladen-Betreiberin Valora. Demnach ist die Verbreitung des Homeoffice im Vergleich zu Vorkrisen-Zeiten um 200 Prozent angestiegen: Schweizer Arbeitnehmer verbringen im Schnitt 1,5 Tage zu Hause.
Der Trend zu mehr Homeoffice dürfte sich langfristig etablieren: Die Kantonalbank-Analysten erwarten, dass im Jahr 2022 rund 37 Prozent der Schweizer regelmässig Homeoffice machen. 2019 waren es nur 25 Prozent.
Die aktuelle Situation dürfte zu einem langfristigen Anstieg der Homeoffice-Akzeptanz sowohl bei Arbeitnehmern als auch bei Arbeitgebern führen: «Das Arbeiten im Office wird nach der Pandemie bei Weitem nicht auf das Level vor der Krise zurückkehren.»
Dem stimmt auch Emmenegger zu: «Wir gehen davon aus, dass Homeoffice auch nach Corona als Arbeitsform bestehen bleibt.»