Der Coach im Ohr - Helfer oder Humbug?
Von Gesundheit bis Karriere: Ratgeber-Podcasts sind in Mode. Verhelfen sie aber wirklich zu einem glücklicheren Leben? Zweifel sind angebracht.
Soeben ist Laura Malina Seiler von ihrem täglichen Surfen bei Sonnenaufgang aus dem Meer gestiegen. Nun sitzt sie am Strand ihres Wohnorts auf Hawaii und befiehlt sanft: «Sag zu dir selbst: Ich mache jetzt eine Pause.» Das sei Schritt eins: Einfach nur sein, entspannen, geniessen. In Folge Nr. 258 ihres Podcasts «Happy, holy and confident» erklärt die Influencerin dann, man solle sich zweitens mit seiner «inneren Weisheit verbinden» und drittens mit ihr «in Kommunikation gehen». Die lächelnde Laura im Ohr versichert: «Es wird dein Leben verändern.»
Podcasts von selbstständigen Lebensberatern oder «Life Coaches», wie sie sich bezeichnen, sind in Zeiten von Selbstoptimierung im Trend. Sie widmen sich Themen wie Gesundheit, Beziehungen, Karriere, Stress oder - besonders aktuell - Krisensituationen.
Bei den deutschsprachigen Vertretern dieses Genres ist die 33-jährige Laura Malina Seiler aus Deutschland mit Hörerzahlen im zweistelligen Millionenbereich und mehreren Angestellten der Superstar. Sie gibt auch Kurse und schreibt Bestseller.
Ähnliche Podcasts sind in den letzten Jahren in der Schweiz aufgekommen, wie ein Blick auf Podcastclub.ch zeigt. Sie heissen «The Essence of Life», «Einfach Gesund Leben», «Fang an zu leben», «Flowcast», «Höre dich» oder «Mit Souveränität & Gelassenheit zu Erfolg und Genuss».
Adressiert sind sie vor allem an ein gesundheitsbewusstes, mitunter nach Spiritualität suchendes, tendenziell weibliches Publikum. Einige nennen auch Business-Leute und Start-up-Gründer als Zielgruppe.
Meist sind es Monologe in simpler Sprache. Zentrale Aussagen werden mantraartig wiederholt. Die Hörerinnen und Hörer werden per Du direkt angesprochen, der Ton ist stets optimistisch.
Was auch auffällt: Die Lebensexpertinnen fokussieren ganz auf das Individuum. Die Welt kann zwar manchmal sehr schlecht sein, aber Hauptsache dir geht es gut. Und nur du selbst bist verantwortlich dafür, wie es dir geht, so die Botschaft. Als habe man ein anderes, glücklicheres, gesünderes Dasein eigentlich vor der Nase und müsste nur zugreifen.
In einer Dokumentation von «Arte» ist zu sehen, wie Laura Malina Seiler eine volle Halle dazu animiert, mit geschlossenen Augen und erhobenen Händen «Yes! Yes! Yes!» zu rufen. Die Show ist eine Mischung aus Pop-Yogastunde und Freikirchen-Predigt. Nur bejubeln sie keinen Gott, sondern sich selbst.
«Life Coaches setzen bei einer latenten Unzufriedenheit und inneren Leere an, die viele Leute spüren.» Sprechstunde bei Hansjörg Znoj. Er leitet die Abteilung für Gesundheitspsychologie und Verhaltensmedizin an der Universität Bern.
Ein Anstoss aus einem Podcast könne in Einzelfällen womöglich bereits etwas bewirken, sagt er. «Wir geben uns oft zu wenig Zeit, innerlich zur Ruhe zu kommen, haben ständig etwas los, sind eingespannt in Verpflichtungen.» Und merkten plötzlich, dass etwas fehle - «Orientierung, Tiefe, eine gewisse Sicherheit, auch gegenüber seinen Gefühlen».
Antworten fänden wir nun weniger bei traditionellen Institutionen wie Kirche und Familie, so Znoj. «Stattdessen sagt mir die erfolgreich wirkende Podcasterin, ich dürfe mich auch mal um mich kümmern. Ich dürfe wollen, was ich will.» Dabei sei dies Frauen früher weniger zugestanden worden als Männern, was bei heutigen Rollenbildern teils noch nachwirke.
Wenn aber das Versprochene nicht eintrete, fühle man sich vielleicht noch schlechter als vorher. «Finde die Lösung in dir und sonst bist du halt selbst schuld: Damit entzieht sich der Coach der Verantwortung», kritisiert Psychologe Znoj. Gar nichts seien diese Angebote zudem für Menschen mit schweren psychischen Problemen. «Podcasts und Coachings sind kein Ersatz für eine seriöse Therapie.»
Weiter warnt er vor der beruhigenden, hypnotischen Sprechweise, die manche Podcasts verwenden. Znoj: «Diese ist in der Psychotherapie eine mächtige Methode.» Eine Podcasterin könne aber nicht kontrollieren, was sie beim einzelnen Hörer auslöse. Oder ob eine vermittelte Entspannungsmethode im konkreten Fall überhaupt passe.
Diese Rückmeldung ist essenziell bei professionellen Online-Selbsthilfe-Tools, wie sie Znojs Abteilung entwickelt. Getestet wird im Moment «ROCO»: Das Programm soll Personen, die sich wegen Covid-19 psychisch belastet fühlen, unter anderem Bewältigungsstrategien vermitteln.
Die Professionalität ist das grosse Fragezeichen bei den Lebenshilfe-Podcasts. Denn um sich Coach zu nennen, muss man weder psychologischen noch medizinischen Hintergrund haben.
Gerne werden stattdessen vage hippe Begriffe wie «Flow», «Achtsamkeit» oder «Selbstliebe» benutzt. Und als Quelle dienen in der Regel keine fundierten Fachrecherchen, sondern das eigene Gefühl und Erlebte oder andere Ratgeber.
Darunter gibt es sogar richtig Haarsträubendes zu hören. Zum Beispiel behauptet Nadja Lang in Folge 77 ihres Podcasts: «Jede Entscheidung, die du triffst, wird von deinem Mindset gesteuert.» Mindsets seien allgemeine «Programmierungen» oder «Muster», die unser Verhalten unterbewusst bestimmen würden. Die Spitzensportlerin Daniela Ryf etwa habe einen Iron Man nur darum gewonnen, weil sie sich im Wasser über den «Glaubenssatz» hinweggesetzt habe, wonach man sich beim Kontakt mit einer Feuerqualle sofort in Behandlung geben solle.
Das zeigt: Gutgemeinter Rat gefährdet in gewissen Fällen sogar die Gesundheit. Man sollte genau hinschauen, wer sich da als Lebensexpertin ausgibt.
Ein Podcast, der seine Rolle zwischendurch immerhin etwas hinterfragt, ist die Zürcher Produktion «Kafi am Freitag» von Sara Satir und Kafi Freitag. Die beiden Coaches stellen fest, dass bei allem Positivsehen der selbstkritische Blick nicht vergessen gehen dürfe.
Ihr Podcast solle authentisch sein und vom «echten Leben» handeln, wie Freitag und Satir in einem Porträt von Radio SRF erklärt haben. Ihnen mag das gelingen. Derweil hat Laura Malina Seiler auf ihrem Instagram-Profil schon wieder ein neues Foto von sich beim Surfen mit ihren Fans geteilt.