Deshalb fühlt sich die Landbevölkerung von der Stadt vernachlässigt

Stephan Felder
Stephan Felder

Luzern,

Man sieht es in den USA, man sieht es in der Schweiz: Städte wählen links, ländliche Orte rechts. Weshalb ist das so? Und sollte man dagegen etwas unternehmen?

New York
Eine Ausnahme: Eine Trump-Supporterin in New York. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Es ist ein globales Phänomen: Städter stimmen progressiv, die Landbevölkerung konservativ.
  • Beide Gruppen haben deutlich unterschiedliche Interessen.
  • Die Landbevölkerung fühlt sich mit ihrem Wissen geringgeschätzt.

Die US-Wahlen haben es deutlich aufgezeigt: Die Bevölkerung ist gespalten. In Links und Rechts, in Mann und Frau. Vor allem aber: in Stadt und Land.

Kamala Harris holte in Städten wie San Francisco an die 80 Prozent aller Wählerstimmen. Auf dem Land setzte sich überall Donald Trump durch. Und zwar mit massivem Vorsprung.

Ein globales Phänomen

Dass Städter progressiver wählen und abstimmen, das ist keine neue Feststellung. Auch in der Schweiz lässt sich dieser Umstand beobachten: Zürich, Basel, Genf oder Lausanne votieren in der Regel deutlich «linker» als ländliche Gebiete.

USA, die Schweiz: Ist der Stadt-Land-Graben ein globales Phänomen?

Ja, sagt Joachim Blatter. Der Politologe der Universität Luzern ist spezialisiert auf das Thema. Er weiss: «Dass Städter progressiver wählen als die Landbevölkerung, ist in allen Demokratien so.»

Die Gründe dafür sind vielfältig. «Es gibt deutliche Unterschiede bei den Werthaltungen», erklärt Blatter. Er erwähnt Themen wie Umwelt- und Tierschutz, Migration oder Minderheitenrechte.

Verstärkt würden die Differenzen durch den politischen Prozess sowie durch die sozialen Medien. Dazu kämen gegenteilige Interessen, zum Beispiel von Bauern oder von Wissenschaftlern.

Oft fühlt sich die Landbevölkerung abgehängt von den politischen Eliten. Und wählt dann Donald Trump. Oder in der Schweiz Politiker mit ähnlichen Ideologien.

Wo fühlst du dich wohler?

Woher aber kommt dieses ländliche Gefühl der Vernachlässigung?

Blatter nennt die drei gängigsten Erklärungsansätze: «Die Ökonomie: Der Strukturwandel zur Dienstleistungsgesellschaft bevorzugt die Städter. Dann die kulturellen Werte: Städter haben ‹postmoderne› Ideale entwickelt, an die sich die Landbevölkerung anpassen muss. Und schliesslich die Politik: die politische Elite besteht aus Städtern.»

Gerade für die Schweiz seien diese Erklärungen aber nicht überzeugend. «Die Landbevölkerung hat hier ein sehr viel grösseres politisches Gewicht als die Städter – vor allem die Bauern. Sie setzt sich bei Abstimmungen auch sehr viel häufiger durch.»

Das Gefühl, das eigene Wissen sei nichts wert

Spannender ist für Blatter deshalb ein Erklärungsansatz, der bislang wenig Aufmerksamkeit gefunden hat: «Die Landbevölkerung fühlt sich gegenüber den Städtern in ihrem Wissen diskriminiert», sagt Blatter.

Sie habe das Gefühl, dass der akademische Titel mehr zähle als das praktische Können.

Denn: Mit dem Wissen aus der Wissenschaft würden generelle Regeln gemacht, welche der Landbevölkerung aufgedrängt würden. Blatter nennt ein konkretes Beispiel: «Die Corona-Pandemie und ihre Massnahmen.»

Kann man den Stadt-Land-Graben aufschütten? Politologe Michael Hermann, Leiter des Forschungsinstituts «Sotomo», zeigt sich skeptisch: «In die Stadt ziehen vorab Leute, die ein internationales Umfeld suchen und häufig akademisch gebildet sind.»

Die Differenzen zwischen Stadt und Land werde es immer geben, weil sie durch diese Umzüge immer wieder neu produziert würden. Hermann nennt die einfache Formel dazu: «Gleiche Leute mit den gleichen Werten suchen die gleichen Angebote.»

Der Graben müsse aber auch gar nicht aufgeschüttet werden, meint Hermann. «Im Vergleich zu religiösen Gräben sind Differenzen zwischen Stadt und Land vor allem in der Schweiz weniger gefährlich.»

Agglomerationen als Puffer

Denn in der engmaschigen Schweiz wirken die Agglomerationen als Puffer zwischen Stadt und Land. Zudem ist die Polit-Landschaft deutlich weniger polarisiert als in den USA mit dem Zwei-Parteiensystem.

Annäherung in kleinem Stil gibt es aber schon. Joachim Blatter sagt etwa: «Die Städter gehen durchaus aufs Land, besuchen mit ihren Kindern einen Bauernhof. Auch die Landbevölkerung sollte sich aber mal mit der Wirklichkeit der Städter auseinandersetzen.»

Vor allem in der Schweiz sei es keineswegs so, dass die Bevölkerung aus den Universitätsstädten arrogant auf die Landbevölkerung runterschaue. «Im Gegenteil. Städter finden Ländler ganz sympathisch.»

Kommentare

User #3672 (nicht angemeldet)

Ich mag das Land, da redet man noch Schwizerdütsch.

User #2052 (nicht angemeldet)

Jugendlich war ich die Landschaft und heute bin ich älter in die Stadt.

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