Die Witwe, der Prinz und der willfährige Arzt - Mordfall Savoy
Das Wichtigste in Kürze
- «Hirnblutung» hatte Winnies Leibarzt, der Freiburger Psychiater Gérald Savoy, auf den Totenschein geschrieben.
Kein Wunder bei einer 65-Jährigen, die täglich 80 Zigaretten rauchte, 30 Barbiturattabletten mit Alkohol hinunterspülte und sich ausschliesslich von Spaghetti und Trockenpflaumen ernährte.
Als Winnie Bird 1948 ins alte Europa gekommen war, hatte sie das erste Kapitel ihres Aschenputtel-Märchens hinter sich. Die Eisenbahnertochter aus Missouri war als junge Frau nach New York gegangen, um eine Filmkarriere zu starten. Direkt vom Trottoir weg engagierte sie die Variété-Legende Florenz Ziegfeld für seine «Follies».
Auf der Bühne fiel die Tanzmaus aus der Provinz dem Millionenerben Wallis Bird auf. Und er machte sie zum Paradiesvogel. Zunächst wollte Winnie nicht, denn Wallis war einen Kopf kleiner als sie. Und sie hatte doch eine Filmkarriere im Sinn! Kein Problem, meinte Wallis, zur Not finanziere und drehe er die Filme gleich selber.
Das tat er dann auch ganz professionell auf 35mm, wenn auch nur für den Hausgebrauch - abgesehen von Vorführungen für den Freundeskreis im Ballsaal seiner Farnsworth Estates: Winnie in glamourösen Klamotten aus Paris, mit Juwelen behängt wie eine Halleluja-Staude. Winnie, Gastgeberin schillernder Oyster-Bay-Parties voller unterbeschäftigter Prominenz. Winnie, die Stilikone, die es mehrmals in die «Vogue» und einmal auf die Liste der bestangezogenen Frauen schaffte.
Doch das Glück währte nicht lange. Wallis war erst 40, als er mit seinem Privatflugzeug abstürzte. Die damals 44 Jahre alte Witwe verkraftete seinen Tod schlecht und liess sich in eine Privatklinik in New York einweisen. Ein weiterer goldener Käfig für das Vögelchen aus Missouri. Tags lungerte sie in federbesetzten Négligés auf der Chaiselongue, abends takelte sie sich auf und zog um die Häuser, in den Stork Club El Morocco.
Für das nächste Kapitel hätte Cinderella einen Prinzen benötigt, aber solche waren rar in Amerika und der alte Kontinent war wegen des Kriegs ausser Reichweite. Nachdem der Frieden ausgebrochen war, erblickte sie auf Shopping-Tour in Paris 1950 den Modeschöpfer Nicolas Sturdza, angeblich aus altem rumänisch-moldawischem Königsgeschlecht.
Sie sei ihm regelrecht nachgelaufen, sagte Sturdza später vor Gericht aus, ekelhaft! Über eine halbe Million Dollar bot sie ihm für einen Trauschein an. «Ich bin nicht käuflich, Madame», soll er geantwortet haben. Nicht, weil er schwul war, sondern weil bei einer Eheschliessung sein falscher Prinzentitel aufgeflogen wäre.
Egal, Winnie liess dennoch seine Krone mit ihren Initialen auf ihre Handtaschen prägen. Ihrem Prinzen kaufte sie eine Boutique an der noblen Rue Faubourg Saint-Honoré, die allerdings nicht rentierte. Also stellte sie Sturdza als ihren Privatsekretär an.
Der Monatslohn von 1000 Dollar - auf heutige Verhältnisse umgerechnet etwa 6000 Franken - reichte dem erfolglosen Modeschöpfer knapp für den Unterhalt seiner Lustknaben, er selber reiste ja kostenfrei mit Winnie den grossen Luxushotels in ganz Europa nach. Basislager waren das «Crillon» in Paris und das «Beau Rivage» in Lausanne.
1958 hatte die «Goldhenne» - so nannten sie die Angeklagten später vor Gericht - einen Nervenzusammenbruch. Sturdza erinnerte sich an einen alten Bekannten, den Freiburger Psychiater Gérald Savoy, ein Lebemann wie er selber. Savoy hatte gerade Zeit, denn man hatte ihm die Approbation entzogen.
Zunächst nahm er seine Funktion als Leibarzt mit einem Monatslohn von 1500 Dollar ernst. Er führte mit Winnie einen Barbituratentzug durch, indem er - von ihr unbemerkt - die Beruhigungsmittel allmählich mit Placebos ersetzte.
Doch schon ein Jahr später war die zerzauste Goldammer wieder voll drauf. Savoy versorgte sie willfährig mit monatlich 1000 und mehr Barbiturattabletten. Dass sie unentwegt stoned war, kam Sturdza zupass. Er überredete sie zum Kauf von immer neuen Juwelen, die er dann verschwinden liess.
Das konnte nicht lange gut gehen. Im Sommer 1962 war Winnie dermassen geschwächt, dass der Prinz und Savoy zwei Lausanner Ärzte kommen liessen. Der erste war selber auf Barbituraten und nicht viel wert. Der zweite riet dringend zu einer lebensrettenden Bluttransfusion, denn nachdem Savoy sie über längere Zeit auch noch mit Morphin-Scopolamin gefüttert hatte, war Winnie schwer anämisch.
Zwei Tage nach dem Arztbesuch war sie tot. Eine Bluttransfusion hatte sie nie bekommen. Er habe Konserven bestellt, sagte Savoy später vor Gericht, aber die seien halt nicht rechtzeitig eingetroffen. An dieser Stelle explodierte der Richter Bertrand de Haller: «Sie können doch Blut nicht beim Zimmerservice bestellen wie Champagner!».
Dass Savoy seine Patientin mit Absicht hatte sterben lassen, konnte ihm nicht nachgewiesen werden. Es hätte auch pure Dummheit sein können. Er erhielt sieben Jahre für «eventualvorsätzlichen Mord», ein juristisch nicht ganz einfacher Sachverhalt. In der Berufung wurde das Urteil auf die simplere «fahrlässige Tötung» und die Haftstrafe auf fünf Jahre reduziert.
Sturdza kassierte vier Jahre unter anderem für Scheckbetrug und den Diebstahl von Juwelen im Wert von damals 300'000 Dollar - nach heutiger Kaufkraft fast zwei Millionen Franken. Seiner Argumentation, Winnie habe ihm die Klunker sowieso vermachen wollen, folgte der Richter nur teilweise: Das möge wohl sein, aber da es nicht testamentarisch festgeschrieben sei, gelte die Aneignung als Diebstahl.
Auch den Einwand, es wäre doch blöd gewesen, die «Goldhenne» zu schlachten, liess das Gericht nicht gelten. Denn Winnie hatte kurz vor ihrem Tod einen befreundeten Banker um Hilfe gebeten: Sie fürchte, ihre Entourage wolle sie unter den Boden bringen. Die Sache drohte aufzufliegen.
Der Banker wandte sich an das amerikanische Konsulat in Genf. Dieses blieb freilich untätig. Das war doch eh nur eine weitere Schrulle einer verschrobenen alten Vogelscheuche, mochten die Verantwortlichen gedacht haben. Einer Exzentrikerin, die von Spaghetti und Dörrobst lebte und mitten in der Nacht Ovomaltine mit rohen Eidottern beim Zimmerservice bestellte - vermutlich als Potenzmittel für einen falschen Prinzen, dessen Sinn mehr nach jungen Männern als alten Schachteln stand.