Dopingmittel EPO schützt Kinderhirne wohl doch nicht
Immer mehr Frühgeborene überleben heute, doch häufig leidet das Gehirn. Die Hoffnung, dass ein Dopingmittel Schutz bieten könnte, wurde zerschlagen.
Das Wichtigste in Kürze
- Heutzutage überleben immer mehr Frühgeborene.
- Weiterhin leidet jedoch die Gehirnentwicklung der Frühchen.
- Die Hoffnung, dass es ein Schutzmittel geben könnte, wurde zerschlagen.
Immer mehr Frühgeborene überleben heute, doch häufig leidet die Entwicklung ihres Gehirns. Bisher versprachen sich Mediziner viel von der Gabe des körpereigenen Hormons Erythropoietin (EPO).
Dank medizinischer Fortschritte überleben immer häufiger Frühgeborene; Kinder, die vor der 37. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen. In der Schweiz machen Frühgeburten etwa acht Prozent aller Geburten aus.
Doch je früher ein Kind das Licht der Welt erblickt, desto mehr steigt das Risiko für schwere Behinderungen: Das bei der Geburt noch unreife Gehirn kann im späteren Leben zu kognitiven und motorischen Störungen sowie Verhaltensauffälligkeiten führen. Präklinische und retrospektive Studien wiesen darauf hin, dass das körpereigene Hormon EPO das Gehirn von Frühgeborenen schützen kann.
Untersuchung bei 448 frühgeborenen Kindern
Ein Forschungsteam um den Neonatologen Giancarlo Natalucci von der Universität Zürich untersuchte nun die Wirkung des Hormons bei 448 frühgeborenen Kindern aus fünf Schweizer Spitälern. Die Mediziner teilten die Kinder in zwei Gruppen ein: Die Placebo-Gruppe erhielt eine Kochsalzlösung, die Interventionsgruppe humanes Erythropoetin. Anschliessend testeten sie die motorischen und kognitiven Fähigkeiten der Kinder nach zwei und fünf Jahren.
Demnach fanden die Forschenden keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. «Es zeigt sich immer mehr, dass diese seit den 2000er Jahren mit Hoffnung behaftete Therapie keine klinischen Effekte zeigt.» Dies sagte Natalucci im Gespräch mit Keystone-SDA. So deutete eine frühere Studie mit Gehirnscans noch an, dass EPO den Frühchen zu helfen scheint.
Er analysiert derzeit die Daten, die zeigen sollen, ob sich EPO auf die Verhaltensmuster der Frühchen auswirkt. Aber die bereits publizierten Ergebnisse lassen ihn an einer möglichen Wirkung zweifeln.
Studie könnte «falsche» Kinder untersucht haben
Müssen Ärztinnen und Ärzte ihre Hoffnungen nun endgültig begraben? Nicht unbedingt, sagte Natalucci. Es könne sein, dass die Studie die «falschen» Kinder untersuchte.
So sei es durchaus möglich, dass EPO bei extrem Frühgeborenen – also Kindern, die vor der 25. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen – helfen könnte. «Unser Ziel ist, noch unreifere Kinder zu untersuchen, die bereits kurz nach der Geburt Gehirnschäden aufweisen», sagte der Mediziner.
Die vorliegende Studie analysierte auch nicht den Zusammenhang zwischen neurologischen Schäden bei Kindern und dem sozioökonomischen Status ihrer Eltern. Dieser dürfte jedoch gerade für Frühchen eine wichtige Rolle spielen: So würden Kinder aus sozial benachteiligten Familien eher an Entwicklungsstörungen leiden, sagte Natalucci. Bei Risikogruppen, also etwa bei Frühgeborenen, spitze sich dies zu.
Deshalb möchte er mit seinem Team nun auch die Familienumstände der Frühchen enger begleiten. Damit erhofft er sich, Eltern schlussendlich gezielt bei ihrer familiären Rolle zu unterstützen. Und so die langfristigen Folgen für Frühgeborene auf ein Minimum zu reduzieren.