Dürfen moderne, aufgeklärte Männer Pornos schauen?
Der Mann dominant, die Frau das unterwürfige, entmenschlichte Sex-Objekt – wegen solcher Rollenbilder stehen Pornos in der Kritik. Sind sie noch zeitgemäss?
Das Wichtigste in Kürze
- Pornos werden oft für die Rollenbilder kritisiert, die sie vermitteln.
- Einige sind völlig gegen Pornografie, andere fordern geschlechtergerechte Sexfilmchen.
- Stellt sich die Frage: Sind klassische Pornos noch zeitgemäss? Fachleute erklären.
Sie sind überall und jederzeit abrufbar – und das auch noch gratis: Pornos. Kein Wunder, erfreuen sich die Sexfilmchen grosser Beliebtheit. Umfragen zufolge schauen sie mehr als 90 Prozent der Männer und 57 Prozent der Frauen.
Und dennoch sorgen die Videos immer wieder für Kritik. Christlich-konservative Kreise befürchten, dass Kinder durch Pornografie verdorben werden.
Linke Politikerinnen kritisieren die Frauenbilder, die in vielen Pornos vermittelt werden. Die Frau wird oft als unterwürfiges sexuelles Objekt dargestellt, der Mann dominant.
Einige Feministinnen und Feministen halten deshalb grundsätzlich nichts von Pornografie. Andere finden sie nicht per se schlecht, fordern aber sogenannte geschlechtergerechte Pornos.
Stellt sich die Frage: Darf man als aufgeklärter, moderner Mann überhaupt Pornos schauen? Oder ist das heuchlerisch, wenn man eigentlich für Gleichberechtigung ist?
«Schauen darf man alles»
Nau.ch hat bei Ursina Donatsch* nachgefragt. Die Sexologin und Paartherapeutin hat kürzlich ein Buch veröffentlicht, das sich mit dem Thema Pornografie befasst.
Für sie ist klar: «Ich finde, schauen darf man/frau alles – natürlich, was legal ist.» Wichtig sei einfach, dass man sich bewusst ist, was man sich da gerade ansieht.
«Gewisse Dinge erregen einen rein sexuell. Sie müssen aber gleichzeitig nicht mit den eigenen moralischen Vorstellungen übereinstimmen.» Auch, was die Rollenbilder anbelangt.
In der Beziehung sorgen Sexfilmchen aber gerne für Streit. «Ich erlebe oft, dass Frauen den Porno-Konsum ihres Partners kritisieren», sagt die Paartherapeutin.
«Viele empfinden das als bedrohlich.» Das zeigte eine ihrer Studien mit über 1000 Teilnehmenden – sie erlebt es aber auch in der Praxis.
Häufig seien Ängste im Spiel, zum Beispiel, dass der Mann etwas im Porno sucht, das er im Paar-Sex nicht hat.
«Es kommt auch vor, dass die Frauenbilder-Vermittlung im Porno als konkrete oder zusätzliche Bedrohung wahrgenommen wird», sagt Donatsch.
Paar-Sex «ist eben kein Porno-Sex»
Laut der Expertin wichtig: «Man sollte die Unsicherheitsgefühle mit dem Partner besprechen.»
Oft hätten die Szenen, die sich die Männer anschauen, wenig bis nichts damit zu tun, was sie im Paar-Sex wünschen.
«Die gemeinsame Sexualität ist ja auch gekoppelt mit Liebe – und ist eben kein Porno-Sex.» Das sei eine Erkenntnis, die für Frauen oft sehr entlastend sei.
Pornoseiten sind «psychoaktive Industrieprodukte»
Und trotzdem: Auch Experten halten Kritik an Pornos nicht für völlig unberechtigt.
Psychologe Renanto Poespodihardjo therapiert an den Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel Pornosüchtige.
«Pornoseiten sind psychoaktive Industrieprodukte. Das heisst, dass sie unendlich bespielbar sind – man hat nie alles durchgeschaut», erklärt er bei Nau.ch.
Gefährlich dabei: «Im Moment der sexuellen Erregung, kurz vor dem Orgasmus, verliert man das Gefühl für Raum und Zeit. Es ist eine Art Betäubung.» Das kann süchtig machen.
«Ehefrauen-Sharing, Inzest- und Gewaltgeschichten sehr beliebt»
«Ein grosses Problem ist, dass wir nicht über Pornografie und deren Inhalte sprechen», sagt Poespodihardjo. Das Tabu sei gross.
Er macht ein Beispiel. «Stell dir vor, du fragst deinen Partner, ob er Pornos schaut. Statistisch gesehen dürfte die Antwort Ja sein – möchtest du das hören?»
Würde man noch einen Schritt weitergehen und nachfragen, welche Pornos der Partner denn schaue, werde es noch unangenehmer.
Denn: «Ehefrauen-Sharing, Inzest- und Gewaltgeschichten sind auf den legalen Pornowebseiten sehr beliebt. Wenn du erfährst, dass dein Partner das schaut, würdest du ihn wohl dafür verurteilen.» Man riskiere also den Respekt seines Umfelds – oder gar, seine grosse Liebe zu verlieren.
Welche Pornos sind schädlich?
Inzest, Gewalt und Co: Viele populäre Porno-Genres widersprechen den Wertvorstellungen der meisten Zuschauer.
«Man fühlt sich dadurch zwar sexuell erregt, findet es aber moralisch verwerflich. In der Kombination mit der Tatsache, dass man nicht darüber sprechen kann, führt das gerne zu Schuld- und Schamgefühlen.»
Und das wiederum sei der Nährboden für ungesundes Konsumverhalten. Betroffene ziehen sich zurück, die gesehenen Bilder nehmen sie gedanklich ein und sie erleiden gar körperliche Schäden wie sexuelle Unlust.
Gibt es also konkrete Genres, die schädlich sind?
Auf diese Frage gibt es laut Poespodihardjo keine klare Antwort. «Es kommt auf die Art Schaden an. Eine Sucht kann zwischenmenschlich Schaden anrichten – etwa, weil man sich zurückzieht – oder eben körperlich.»
Grundsätzlich beobachtet er aber: «Pornografie, die entgegen der Wertvorstellungen intensiv konsumiert wird, scheint Menschen nicht gut zu tun. Gerade dann, wenn sie Schuld und Scham auslöst und das dazu führt, dass man nicht darüber sprechen kann.»
«Pornos sind halt einfach Realität»
Auch Männerpsychologe Markus Theunert von der Organisation Männer.ch ist punkto Pornos kritisch: «Ja, es gibt Risiken», sagt er zu Nau.ch.
Aber: «Pornos sind halt einfach eine Realität. Natürlich reproduzieren sich dabei Geschlechterstereotypen – wie in jedem anderen Film auch.»
Die Männerorganisation sieht jedoch auch Chancen. Darum sei es sinnvoll, zu fragen «welche Pornos?» und nicht grundsätzlich «ob Pornos»?
Wichtig findet Theunert vor allem die Frage, welche Kompetenzen Jungen und Mädchen brauchen, um Pornos selbstbestimmt nutzen zu können. «Also unter Respektierung ihrer eigenen Grenzen, aber auch mit der Freiheit, Lust und Freude dabei zu empfinden.»
Dazu hat die Organisation kürzlich eine Wissensübersicht zusammengetragen – sie zeigt: Viele Fachpersonen fordern, Pornos als Thema in den Lehrplan aufzunehmen.
Theunerts Männerorganisation bietet zudem Workshops an, in denen Eltern lernen, wie sie mit ihren Kindern über Pornografie sprechen können.
*Autorin des Buchs «Pornos und Partnerschaft – Lust oder Last?», Hoegrefe (2024)
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Brauchst du Hilfe?
Hast du selbst ein schädliches Porno-Konsumverhalten oder befürchtest, dass eine Person aus deinem Umfeld betroffen ist?
Die Abteilung Verhaltenssüchte ambulant (VSA) der Uniklinik Basel bietet Hilfe bei Sex-, Internet-, Glücksspiel- und Kaufsüchten.
Telefon: +41 61 325 50 92
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