Wer zu viel Pornos schaut, verrät sich oft selbst

Aline Schmassmann
Aline Schmassmann

Zürich,

Vor allem junge Männer unter 30 sind betroffen: Viele haben ein Problem mit übermässigem Porno-Konsum. Ein Experte erklärt, welche Folgen das haben kann.

Porno
Vor allem junge Männer unter 30 haben oft ein Problem mit Pornos. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Übermässiger Porno-Konsum führt im Alltag zu verzerrten Wahrnehmungen.
  • Dies ist nur eine der Folgen, die Paarberater Martin Bachmann in der Praxis erlebt.
  • Und die Zauberformel für besseren Sex? «Zeit nehmen und durchatmen», so Bachmann.

Home-Party in Zürich: Laute Bässe und eine Wohnung voller Menschen. Drei Frauen unterhalten sich ausgelassen sitzend auf einem Sofa, während sich Lara* ihren Weg an den Frauenbeinen vorbei bahnt.

Plötzlich die amüsierte Stimme eines Mannes: «Was ist das hier, ‹Casting Couch›?» Lara ist empört: «Wie kann man denn bitte so ein Porno-Hirn haben?»

Lara weiss, «Casting Couch» ist eine Porno-Website. Dort sitzen Frauen vor einem Casting auf einer schwarzen Ledercouch. Dort kommt es dann weniger zum Casting, sondern eben zum Sex.

Für Lara ist klar: «Wer bei solch unschuldigen Alltagssituationen an Sex denkt, hat zu viele Pornos geschaut.» Dieses Phänomen kennt auch Sexologe und Paarberater Martin Bachmann, der in Dietikon arbeitet.

Nau.ch hat mit ihm über übermässigen Porno-Konsum gesprochen.

«Deutlich mehr Männer» haben Porno-Problem

Nau.ch: Ist übermässiger Porno-Konsum ein häufiges Thema in Ihrer Beratungsstelle?

Martin Bachmann: Ab und zu sitzen Männer in meiner Beratung und sagen, sie hätten ein Problem mit Pornografie. Sie möchten beispielsweise nicht mehr so viel Pornos schauen.

Nau.ch: Nur Männer?

Bachmann: Ganz selten sind es auch Frauen. Im Schnitt sind es aber deutlich mehr Männer. Insbesondere junge Herren unter 30.

Martin Bachmann
Sexologe Martin Bachmann erklärt: Zu hoher Porno-Konsum hinterlässt seine Spuren bis in den Alltag. - zVg

Nau.ch: Wieso empfinden diese Männer ihren Porno-Konsum als problematisch?

Bachmann: Auslöser sind oftmals Beziehungsprobleme. Beispielsweise wenn sich die Partnerin oder der Partner daran stört, dass der Mann Pornos schaut. Ein anderer Grund kann das Auftreten von Erektionsschwierigkeiten sein – physiologische Konsequenzen also.

Nau.ch: Wie merkt man, dass die Erektionsprobleme auf den Porno-Konsum zurückzuführen sind?

Bachmann: Das ist manchmal recht offensichtlich.

Gerade heute Morgen meinte ein Klient zu mir: «Shit, wenn ich allein Pornos schaue, komme ich zum Orgasmus. Zu zweit, mit meiner Frau, kann ich diesen Höhepunkt nicht mehr erreichen.»

Mit Pornografie kann er also Sex haben und «kommen», zu zweit geht das nicht mehr gleich.

Männer vergessen, «dass im Porno alles Fake ist»

Nau.ch: Beziehungs- und Erektionsprobleme. Gibt es noch weitere Auswirkungen?

Bachmann: Durchaus. Ein sehr hoher Porno-Konsum kann auch die Wahrnehmung verzerren. Dies betrifft vor allem die jüngeren Männer.

Insbesondere, wenn sie keinen «Real Life»-Abgleich machen. Wenn sie also vergessen, dass im Porno alles Fake ist. Diese Männer haben plötzlich verzerrte Vorstellungen über sexuelle Begegnungen, über Flirten oder Einvernehmlichkeit.

Nau.ch: Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Bachmann: Ein junger Mann hat mir mal Folgendes erzählt: «Am Anfang des Flirts ist noch alles in Ordnung. Sobald es aber um Sex geht, habe ich plötzlich eine Art Plan in meinem Kopf. Der ist dann auch richtig Porno-geprägt – dann frage ich auch nicht mehr, was angebracht ist.»

Schaust du oft Pornos?

Dieser Klient hat deshalb Frauen schon mehrmals viel zu früh intim angefasst.

Nau.ch: Wie erklären Sie dieses Verhalten?

Bachmann: Der Mann ist sehr erregt, erlebt aber gleichzeitig eine grosse Unsicherheit. Als Folge verliert er den Kontakt zu seiner Partnerin – und zu sich selbst. Er kommt in eine Art Rausch und spult nur noch seinen Porno-Plan ab.

«Fussgängerin wird zur ‹W****vorlage›»

Nau.ch: Ein Mann, der die Reaktionen seiner Partnerin gar nicht registriert – hört sich gefährlich an. Gibt es noch gravierendere Fälle?

Bachmann: Leider ja, die Männer konsumieren oftmals auch sehr gewalttätige Pornos. Das heisst Schlagen, Würgen und aufwärts.

Ich hatte schon Klienten, die ihrer Sex-Partnerin einfach auf den Hintern hauen oder ihr eine Ohrfeige geben. Das ist Gewalt, nicht Sex.

Das geht oft vergessen. Die Männer müssen lernen, ihre sexuellen Wünsche vorgängig mit ihrer Partnerin abzusprechen.

Nau.ch: Macht sich der Konsum auch in alltäglichen Situationen bemerkbar?

Bachmann: Ja, gerade jetzt im Sommer sieht man auf einmal viel mehr nackte Beine. Manche Klienten stehen dann etwa am Fussgängerstreifen und sagen, sie könnten einfach nicht anders: Ihr Blick bleibt automatisch an den Beinen der Frauen hängen.

Das stresst die Männer auch selbst, denn sie merken: «Shit, ich sehe gar keine Frau mehr, ich sehe nur noch Beine.»

Das kann eine typische Folge von übermässigem Porno-Konsum sein: Der Mensch wird nicht mehr als Subjekt wahrgenommen, sondern als Objekt. Die Fussgängerin wird plötzlich zur «W****vorlage».

«Wer besseren Sex haben möchte, der muss üben»

Nau.ch: Manche Männer verzichten als Gegenmassnahme komplett auf Selbstbefriedigung. Ist das sinnvoll?

Bachmann: Bei Menschen mit zwanghafter Porno-Nutzung kann so eine Pause durchaus sinnvoll sein. Einfach mal eine Zäsur, um andere Pausenfüller einzuüben. Auf Dauer ist das aber keinesfalls zu empfehlen.

Denn: Wenn ich auf Solo-Sex verzichte, lerne ich ja nicht, Sexualität anders und genussvoller zu gestalten. Wer komplett auf Sex verzichtet, kann es nachher nicht besser. Ein verinnerlichtes Porno-Muster wird so nicht verschwinden.

Nau.ch: Sondern?

Bachmann: Wer besseren Sex haben möchte, der muss üben.

Wer nicht mehr mit einem «Porn Brain» (Deutsch: Porno-Gehirn, Anmerkung d. Redaktion) denken will, der muss sich darin üben, genussvollen und variantenreichen Sex zu haben.

Intimität muss gelernt werden, wie alles andere auch.

Hattest du schon einmal Sex mit einer Person, die sich stark von Pornos beeinflussen liess?

Nau.ch: Und wie übt man Intimität?

Bachmann: Beim Solo-Sex lohnt es sich, den Fokus weg von den Bildern und mehr auf das persönliche Empfinden zu lenken. Also nicht stundenlang Filmchen schauen und sich selbst nur drei Minuten berühren.

Männer können sich fragen: Was erlebe ich körperlich? Wie verändert sich meine Empfindung, wenn ich den Atem verändere? Was passiert, wenn ich mir Zeit nehme und mich selbst geniesse?

«Gut durchatmen und Tempo reduzieren»

Nau.ch: Haben Sie solche Tipps auch für Sex mit der Partnerin oder dem Partner?

Bachmann: Auch hier: Zeit nehmen, durchatmen. Wer gestresst ist, ist innerlich angespannt, das ist oft sehr unangenehm.

Als Reaktion wird dann beschleunigt und einfach schnell, schnell irgendetwas gemacht. Dabei wäre gerade das Gegenteil hilfreich: Gut durchatmen und Tempo reduzieren. Nur so kann ich wahrnehmen, wie es mir geht.

Das ist auch die Ausgangslage, um eine Partnerin fragen zu können: Ist alles gut bei dir? Worauf hast du Lust? Gefällt dir, was ich mache?

Coole junge Männer behalten die Ruhe und wissen: Es ist okay, zu fragen. Es ist okay, mal nicht zu wissen, was zu tun ist.

Martin Bachmann ist Paarberater und Mediator bei Paarberatung und Mediation im Kanton Zürich an der Beratungsstelle Dietikon ZH.

*Name von der Redaktion geändert

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Kommentare

User #5140 (nicht angemeldet)

Und in welche Schublade stecken wir jene welche den oder die "anstarrt" die angeblich verrräterisch ins Handy gucken? HALLO wo leben wir eigentlich, wollt Ihr alle zurück ins DDR Zeitalter? Herje wacht auf!

User #1704 (nicht angemeldet)

Ihr kennt den Drang in mir nicht, nach noch mehr und immer wieder noch mehr, Macht! Schlimm war wirklich schlimm, war auch nicht einfach Generalsekretär, des Europarates zu werden! Gruss, euer treuer A. Berset

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