Eltern zeigen Kindern Horrorfilme – Experten warnen
Horrorfilme sind meist erst ab 16 oder 18 Jahren freigegeben. Einige Eltern ignorieren die Hinweise – und verängstigen ihre Kinder. Das ist Missbrauch.
Das Wichtigste in Kürze
- Einige Eltern zeigen ihren Kindern Horrorfilme.
- Eine Mutter filmt danach gar ihr verängstigtes Töchterchen und postet es im Netz.
- Expertinnen und Experten warnen: Das ist Machtmissbrauch.
Eine Mutter fragt ihr Töchterchen für die Kamera: «Was haben wir geschaut?» Das Kind sieht völlig verängstigt aus. «Den Film mit dem grossen Hai», antwortet es.
Die Mutter will wissen, ob der Film der Kleinen gefallen hat. Sie verneint vehement, eine tiefe Sorgenfalte zwischen den Äuglein. «Ich hasse ihn», meint sie und kommt ins Stottern: «Weil er hat einen Taucher gefressen!»
Die Vierjährige hat gerade einen Film gesehen, der im deutschen Sprachraum ab 16 freigegeben ist: «No Way Up», ein Action-Thriller des Schweizer Direktors Claudio Fäh. Teil des Plots: ein Flugzeugabsturz, tote Passagiere und von einem Hai zerfleischte Menschen.
Fans jubeln Mutter für Horror-Video zu
Die Fans der Mutter, der schottischen Influencerin Sam Connelly, loben sie für das Video. Einige witzeln gar darüber, welche Horrorfilme sie ihren Kleinkindern schon gezeigt hätten. Die meisten Kommentare sind positiv – nur vereinzelt gibt es Kritik.
«Mich erstaunt das leider nicht», sagt Regula Bernhard Hug, Leiterin von Kinderschutz Schweiz, zu Nau.ch. «Diese Influencer bauen sich Gemeinschaften auf, in denen ihnen die Zuschauer für missbräuchliches Verhalten zujubeln.»
Und genau das ist es nämlich, was im Video zu sehen ist: «Machtmissbrauch», stellt Tina Hascher klar. Sie ist Erziehungswissenschaftlerin an der Universität Bern.
Auch Schweizer zeigen Kindern Horrorfilme
Zahlen dazu, wie oft Schweizer Eltern Altersempfehlungen bei Filmen missachten, gibt es zwar nicht. Nau.ch sind jedoch Fälle aus der Schweiz bekannt.
Weil Zahlen fehlen, sind auch die Gründe nicht klar. «Teilweise spielen sicher Stress und Überforderung eine Rolle. Das Kind will unbedingt etwas schauen, und man kontrolliert nicht richtig, ob der Film geeignet ist», sagt Bernhard Hug.
Bei ganz kleinen Kindern, wie dem im Video, glaubt sie das aber weniger. «Ein Vierjähriges will sicher nicht von sich aus einen Horrorfilm schauen.»
Im Fall des Videos hat sie eine andere Vermutung: «Ich gehe davon aus, dass es der Mutter hier nur um die Klicks geht. Das Kind und seine Gefühle sind in dem Moment zweitrangig.»
Sowohl sie als auch Hascher vermuten als weiteren Grund mangelndes Einfühlungsvermögen.
«Gefährdungsmeldung bei der Kesb»
Das Video geht laut Bernhard Hug zudem in Richtung Pranks. Also böse Scherze, bei denen Eltern ihr Kind extra zum Weinen bringen. Zur eigenen Belustigung – und um die Reaktion im Internet zu veröffentlichen.
Bernhard Hug weiss: «Verängstigt und erniedrigt man seine Kinder absichtlich vor zahlreichen Followern, kann das eine Gefährdungsmeldung bei der Kesb zur Folge haben.» Das würde ihr zufolge wohl auch beim Beispiel mit dem Horrorfilm gelten.
Andere Beispiele solcher Pranks gibt es viele. Vor ein paar Jahren war es etwa ein Social-Media-Trend, Babys und kleinen Kindern eine Scheibe Käse ins Gesicht zu werfen. Teilweise gar heiss.
Ein weiterer möglicher Grund: «Aus meiner Sicht fehlt diesen Eltern das Wissen über mögliche Auswirkungen», sagt Hascher.
Kleine Kinder können sich nicht von Filmen distanzieren
Dabei können die Auswirkungen gravierend sein. Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), die im deutschen Sprachraum die Altersempfehlungen für Filme herausgibt, warnt bei Nau.ch: «Kleinstkinder reagieren im Film spontan auf das, was sie sehen und hören. Sie können sich noch nicht vom Filmgeschehen distanzieren.»
Dafür seien ihre kognitiven Fähigkeiten noch zu wenig ausgeprägt. «Kleine Kinder nehmen Filme episodisch wahr. Heisst: Sie können einzelne Filmszenen nicht in den Kontext der filmischen Erzählung einordnen.»
Die FSK achtet bei der Risikobewertung auf Passagen, die Kinder nachhaltig überfordern oder lang anhaltende Ängste aufbauen können. «Insbesondere Gewaltdarstellungen, Bedrohungssituationen, Waffeneinsatz sowie Beziehungskonflikte, Unterdrückung und Demütigung sind belastend für kleine Kinder.»
Ängste auslösen können beispielsweise aber auch eine düstere Bildgestaltung, schnelle Schnittfolgen und aggressive Vertonung von Action- und Bedrohungssituationen.
Längerfristige Folgen drohen
Die Ängste können gar bleiben – zumindest eine Zeit lang. Erziehungsexpertin Hascher sagt: «Wird ein Kind mit Inhalten konfrontiert, die es verängstigen, besteht die Gefahr, dass es auch längerfristig darunter leidet.»
Aus ihrer Sicht sei es ein Vertrauensbruch, «gerade auch, wenn sich die Mutter über das Kind lustig macht».