Eventabsagen wegen Coronavirus treffen Holocaust-Überlebende schwer
75 Jahre ist es her, seit die letzten Konzentrationslager Deutschlands geschlossen wurden. Überlebende fühlen sich wegen des Coronavirus vergessen.
Das Wichtigste in Kürze
- Es ist nun 75 Jahre her, seit die letzten deutschen Konzentrationslager befreit wurden.
- Wegen der Corona-Krise mussten viele Gedenkanlässe abgesagt oder verschoben werden.
- Nun befürchten einige Holocaust-Überlebende, dass sich niemand mehr für sie interessiert.
Die letzten deutschen Konzentrationslager wurden vor 75 Jahren, im Mai 1945, befreit. Das bedeutete das Ende eines der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte – und für zehntausende Menschen die Rettung vor dem Tod. Das Coronavirus macht es den verbliebenen Überlebenden nun nicht leicht, sich zu verabschieden.
Zahlreiche Gedenkanlässe fielen der Krise ganz oder teilweise zum Opfer. «Wir mussten unsere Schulklassen-Begegnungen in der Schweiz, die für diese Zeit geplant waren, verschieben», sagt Anita Winter. Sie ist Präsidentin der Stiftung Gamaraal, die Überlebende des Holocausts unterstützt.
In Schaffhausen, Belp BE und an der Ben-Gurion-Universität in Israel wären Ausstellungen geplant gewesen. Auch sie fallen wegen der Corona-Krise ins Wasser.
Ebenso die Eröffnung einer Ausstellung der Gamaraal Foundation im Konzentrationslager Bergen-Belsen in der deutschen Provinz Hannover. Sie hätte eigentlich Mitte Juni stattfinden sollen. «Wir haben geplant, mit einigen Überlebenden von Bergen-Belsen, die heute in der Schweiz leben, zu dieser Eröffnung hinzureisen», so Winter.
Betroffene wollten sich verabschieden
Dass der Anlass nicht stattfinden konnte, ist für die verbliebenen Überlebenden besonders bitter. Sie alle sind hochbetagt – für viele könnte es das letzte Jubiläum sein.
Sie haben den Holocaust überlebt und noch 75 Jahre weitergelebt. «Nun wollten wir uns noch einmal treffen und Goodbye sagen.»
Die meisten Betroffenen haben dennoch Verständnis dafür, dass viele Veranstaltungen nun abgesagt wurden. «Auch, wenn es sie schmerzt», sagt Stiftungs-Präsidentin Winter.
Einige hätten aber auch das Gefühl, dass sich niemand für diese Gedenkanlässe und die Überlebenden interessiere. Das Coronavirus stelle alles andere in den Hintergrund.
Holocaust-Überlebende «haben Schlimmeres erlebt»
In Bezug auf die Krise haben die Überlebenden dieselben Ängste, die alle anderen auch, erklärt Winter. «Jedoch vielleicht etwas geringer, angesichts all des Schrecklichen, das sie durchgemacht haben.»
Die meisten Überlebende haben ihr gesagt: «Wir haben schon viel Schlimmeres erlebt. Wir hatten keine Wohnung, kein Essen und keine Kleider.» Von der Resilienz und Positivität, die die Überlebenden an den Tag legen, ist sie tief beeindruckt und berührt.
Verschwörungstheoretiker: «Juden für Coronavirus verantwortlich»
Und die Corona-Krise trifft die Holocaust-Überlebenden gleich doppelt. Auf Social Media verbreiten sich Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit der Pandemie wie ein Lauffeuer.
Wie das israelische Aussenministerium in einem internen Bericht schreibt, fördert die anhaltende Pandemie antisemitische Hassreden. Es kursieren Behauptungen, dass die Juden verantwortlich für das Coronavirus seien.
Auf Englisch gebe es etwa die Hashtags und Ausdrücke «jüdisches» oder «israelisches Virus», wie «IsraelNetz» schreibt. In einem englischsprachigen Post ist zu lesen, Juden seien «der grösste Parasit, der die ganze Welt bedroht».
Einerseits leiden viele Überlebende also unter den Gedenkanlass-Absagen. Andererseits sehen Sie sich – 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – wieder vermehrt Antisemitismus ausgesetzt.
Am 8. Mai 1945 hatte die deutsche Wehrmacht bedingungslos kapituliert, womit die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten endete. In ganz Europa fielen dem Holocaust in rund sechs Jahren Krieg 6 Millionen Juden zum Opfer.