Führt Long Covid zu Kostenexplosion bei der IV?
Bei einer Diskussionsrunde zwischen Experten und Betroffenen von Long Covid zeigt sich, dass in der Schweiz dringender Handlungsbedarf besteht.
Das Wichtigste in Kürze
- Regelmässig stellen sich Corona-Experten den Fragen der Bevölkerung im Covid-19-Forum.
- Zum Thema Long Covid wurde grosser Handlungsbedarf festgestellt.
- Betroffene leiden oft monatelang an grosser Erschöpfung und sind nicht arbeitsfähig.
Seit über einem Jahr breitet sich das Coronavirus auf der ganzen Welt aus. Rund drei Millionen Menschen sind weltweit nach einer Ansteckung gestorben. Die Auswirkungen einer Covid-19-Erkrankung bei den Überlebenden sind sehr unterschiedlich.
Die meisten Menschen erholen sich nach einigen Wochen komplett. Es wird aber immer deutlicher, dass ein erheblicher Teil der Erkrankten unter Langzeitbeschwerden leidet. Auch nach Monaten berichten Long-Covid-Betroffene etwa über Muskelschmerzen, Konzentrationsschwächen, Kurzatmigkeit und grosser Erschöpfung.
Sie fühlen sich alleine gelassen und fordern mehr Unterstützung, so auch jüngst am Covid-19 Forum. Die virtuelle Veranstaltung der Schweizer Akademien der Wissenschaften will denn «Austausch zwischen der Bevölkerung, den Behörden und Wissenschaftlern pflegen».
Nau.ch hat am Forum teilgenommen. Dabei ging es um die Frage, wie die neue Krankheit Long Covid behandelt werden kann. Dazu gaben die Experten Milo Puhan, Marcel Tanner und Jakob Zinsstag Auskunft.
Schnell wird in der Diskussionsrunde klar, dass es derzeit kaum gesicherte Erkenntnisse zu Long Covid gibt.
«Direkter Austausch mit Forschenden wichtig»
Auch Chantal Britt nahm als Long-Covid-Betroffene an der Diskussion teil. Die 52-jährige Kommunikationsfachfrau kämpft seit über einem Jahr mit einschränkenden Symptomen, die sie auf Covid-19 zurückführt. Sie erstellte schon früh eine Facebook-Gruppe zum Austausch für Betroffene und steht auch hinter der Gruppe «Long Covid Schweiz».
Für sie sei der direkte Austausch mit den Forschenden unglaublich wichtig und schätze ihre direkte Kommunikation auf Plattformen wie Twitter. Denn die Betroffenen erlebten ihre Hausärzte nicht selten als überfordert. Deshalb brauche es klare Richtlinien zum Umgang mit der Krankheit und die Ärzte mehr Unterstützung dabei.
Denn wie Britt kämpfen in der Schweiz Hunderte bei der Bewältigung des Alltags monatelang. Alleine der Haushalt oder die Kinderbetreuung sei wegen der ständigen Erschöpfung zu viel. Überschreite man einmal die Belastungsgrenze, werde man bei der Genesung um Wochen zurückgeworfen.
Neben den körperlichen treten oft neurokognitive Symptome wie Gedächtnisstörungen und Konzentrationsschwächen auf.
Unter diesen Umständen könnten Betroffene oft gar nicht oder nur noch reduziert arbeiten. Das unklare Krankheitsbild führe auch zu Konflikten mit den Versicherungen.
Bundesämter noch ohne klare Strategie zu Long Covid
Milo Puhan sagt, er sei erst kürzlich bei einer Sitzung zu diesem Thema beim BAG gewesen. Mit am Tisch sei auch ein Vertreter des Bundesamtes für Sozialversicherungen BSV gesessen. «Doch auch die haben allerdings noch keinen Plan, wie es weitergehen soll.»
Auf Anfrage schreibt das BSV, die Entwicklung aufmerksam zu verfolgen. Ein Anspruch auf IV-Leistungen bestehe dann, wenn ein nicht behebbarer Gesundheitsschaden zu einer teilweisen oder vollständigen Erwerbsunfähigkeit führe. «Die Diagnose, oder die Art der Krankheit, die in einem solchen Fall Auslöserin ist, spielt im Prinzip keine Rolle.» Es werde jeder individuelle Fall einzeln angeschaut.
Der Gesundheitsschaden müsse zudem voraussichtlich langandauernd oder bleibend sein. «Dies lässt sich natürlich nur nach eingehenden Abklärungen und nach einiger Zeit feststellen.» Entsprechend sei es zu früh zur Beurteilung, ob und allenfalls in welchem Umfang Long Covid zu zusätzlichen IV-Leistungsfällen führen könnte.
Doch das BSV schaue nicht untätig zu, erste Studien seien bereits ausgelöst worden. Ausserdem werde derzeit mit den kantonalen IV-Stellen ein Monitoring aufgebaut. So soll die Anmeldungen von Covid-Betroffenen quantifiziert werden können. Erste Zahlen sollten Ende Mai vorliegen.
Das BAG, in dessen Zuständigkeit die Krankenversicherung fällt, teilt mit, sich mit dem Thema zu befassen. Auch das BAG verweist auf laufende Studie, konkrete Massnahmen seien noch keine festgelegt worden.