Gattiker warnt vor falschen Signalen in der Afghanistan-Krise
Linke Kreise fordern die Aufnahme von 10'000 Flüchtlingen aus Afghanistan. Dieses Kontingent sei nicht hilfreich, sagt der Staatssekretär für Migration.
Das Wichtigste in Kürze
- Seit der Afghanistan-Übernahme durch die Taliban wollen viele Menschen das Lans verlassen.
- In der Schweiz steht die Forderung im Raum, 10'000 Flüchtlinge aufzunehmen.
- Migrations-Staatssekretär Mario Gattiker will kein solches Kontingent bereitstellen.
Mario Gattiker, Staatssekretär für Migration, warnt vor falschen Signalen der Schweiz in der Afghanistan-Krise. Es sei nicht hilfreich ein Kontingent für 10'000 afghanische Flüchtlinge bereitzustellen, wenn die Betroffenen diese Hilfe gar nicht in Anspruch nehmen könnten.
In einem Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung» sagt Gattiker, es sei zu früh, um zu beurteilen, ob es im grossen Stil zu Fluchtbewegungen in Richtung Europa komme, da die Grenzen Afghanistans derzeit weitgehend geschlossen seien.
Auf die Frage, warum sich die Schweiz angesichts der prekären Lage in Afghanistan nicht weiter engagiere, verweist der Staatssekretär für Migration auf 20'000 Afghaninnen und Afghanen, denen die Schweiz in den letzten 10 Jahren bereits Schutz gewährt habe. «Wir nehmen unsere Verantwortung wahr, wenn jemand ein Asylgesuch stellt. Ob es weiteren Handlungsbedarf gibt, werden wir sehen.»
Kontingent auf Vorrat «macht keinen Sinn»
Zurzeit seien der Schutz und die Hilfe vor Ort am dringendsten. Da unklar sei, wie sich die Situation weiterentwickele, gebe es noch kein Begehren des Uno-Flüchtlingshilfswerks, Resettlement-Flüchtlinge aufzunehmen. «Es macht keinen Sinn, auf Vorrat ein Kontingent anzubieten.»
Gattiker lehnt Visa-Erleichterungen, wie es sie 2013 in der Syrien-Krise gab, für Verwandte von Afghanen über den engsten Familienkreis hinaus ab. Bei den Erleichterungen sei es damals um eine relativ kleine Gruppe von Verwandten von eingebürgerten Syrern oder solchen mit einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung gegangen.
In der Schweiz lebten heute aber rund 11'000 Menschen afghanischer Herkunft. «Wir müssten mit Zehntausenden von Gesuchen rechnen. Profitieren würden vor allem Personen, die seit vielen Jahren in Iran oder Pakistan leben, wo sie nicht an Leib und Leben bedroht sind. Wir müssen jedoch jenen helfen, die unmittelbar gefährdet sind.»
Fast niemand kann Land verlassen
Es gebe Millionen von Afghanen ausserhalb ihres Heimatlandes, die bereits in anderen Ländern Schutz gefunden hätten. «Wenn Europa nun entsprechende Signale sendet, wollen viele dieser Menschen hierher kommen. Sie werden sich gefährlichen Migrationsrouten und kriminellen Schlepperbanden aussetzen.»
Die Schweiz werde eine mögliche Anfrage des UNHCR, ob man vulnerable Personen aufnehmen könne, natürlich prüfen. «Dabei handelt es sich um bereits anerkannte Flüchtlinge, die ein Recht auf Schutz haben.»
Die Dimension politischer Verfolgung in Afghanistan könne man jedoch noch nicht abschätzen und zudem könne fast niemand das Land verlassen. «Es ist nicht hilfreich zu sagen: Wir nehmen 10'000 Afghanen auf, aber die Betroffenen könnten diese Hilfe gar nicht in Anspruch nehmen.»
Zudem seien die die Bundesasylzentren wegen der Pandemie zurzeit zu 80 Prozent ausgelastet. Verfügbar wären nur noch 300 Plätze und man erwarte in diesem Jahr noch Resettlement-Flüchtlinge aus dem Libanon.
Linke Parteikreise und Hilfswerke in der Schweiz hatten in den letzten Tagen eine unbürokratische Aufnahme von bis zu 10'000 gefährdeten Flüchtlingen gefordert. Der Bundesrat hatte am Mittwoch beschlossen, dass die Schweiz vorerst keine afghanischen Kontingentsflüchtlinge aufnimmt. Auch die Vergabe von humanitären Visa sollte vorerst nicht erleichtert werden.