Gesichtleser in Corona-Zeiten: «Es fehlt die Hälfte der Infos»

Philipp Kobel
Philipp Kobel

Deutschland,

Wie wichtig Mimik ist, wird aktuell durch das Maskentragen deutlich. Eric Standop ist Gesichtlese-Experte. Er weiss, wieso viele damit ihre liebe Mühe haben.

passantinnen Lugano schutzmaske coronavirus
Passantinnen in Luganos Fussgängerzone tragen am 27. Oktober eine Schutzmaske. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Eric Standop beherrscht als weltweit Einziger sämtliche Methoden des Gesichtlesens.
  • Trotz Schutzmaske könne man immer noch sehr viel aus Gesichtern von Menschen herauslesen.
  • Standop kennt den Grund, warum viele Menschen dem Maskentragen kritisch gegenüberstehen.

Der Grossteil der Bevölkerung hält sich, wo nötig, an die Maskenpflicht. Es gibt aber auch solche, die Mühe mit dem Stoff vor dem Mund haben. Manche, wie die von «10 vor 10» begleitete Corinne Pfister, verweigern sie ganz.

10vor10 coronavirus
Eine Maskenverweigerin äussert sich bei «10 vor 10». - Screenshot/10vor10

Mühe mit der Maske, jedoch nicht bei sich selber, hat auch Eric Standop. Der Deutsche ist Gesichtsleser und weltweit der Einzige, der sämtliche Techniken des Gesichtslesens erlernte und anwendet.

Nau.ch: Herr Standop, aus aktuellem Anlass: Welchen Einfluss hat die Schutzmaske aufs Face Reading?

Eric Standop: Der Widerstand vieler Menschen gegen die Maske ist nicht die Maske an sich, sondern das Verstecktsein. Die Maske verdeckt den zweitwichtigsten Teil des Menschen: den Mund. Das macht es für viele Menschen schwer, eine Situation zu erfassen. Ich kann trotz Maske sehr viel rauslesen, aber es macht es einigen schwerer. Als ich in Dubai Kunden hatte, habe ich es auch «verdeckt» gemacht. Es fehlt die Hälfte der Infos oder sogar noch mehr, weil wichtige Verknüpfungsmöglichkeiten verloren gehen.

Eric Standop
Eric Standop ist 54-jährig und unterrichtet an der Pädagogischen Hochschule in Karlsruhe. - zvg

Standop berät Privatpersonen, Blaulichtorganisationen und die «Crème de la Crème» der Weltwirtschaft im Silicon Valley. Anfang Oktober erschien sein Buch «Ich lese dich».

«Nach 15 Jahren in der Unterhaltungsbranche war für mich als Faktenmensch Gesichtslesen nicht viel mehr als Hokuspokus», sagt Standop. Seine persönlichen Erfahrungen und die Forschung zahlreicher anerkannter Universitäten hätten ihm aber das Gegenteil bewiesen.

Nau.ch: Wie funktioniert Gesichtslesen?

Eric Standop: Es funktioniert ganz natürlich und ist ein Teil von uns Menschen, der jeder und jede tätigt. Das Gesicht zieht uns an und es gibt darin ganz viele Infos, die wir unterbewusst wahrnehmen. Irgendwann haben wir begonnen, das Empathie zu nennen. Ich nenne es auch «Erste Sprache», weil es eine Mischung aus Mimik und Gestik aus der Urzeit ist. Dann gibt es die andere Art des «Face Readings», bei der man bewusst auf Gesichtsmerkmale schaut. Ich weiss, welche Merkmale für was stehen und verknüpfe sie miteinander. Daraus versucht man einen Rat zu geben. Das ist eigentliche Funktion des Gesichtlesers. Aufgrund einer krummen Nase einen Rückschluss zu ziehen ist zu einfach.

Nau.ch: Geht Gesichtslesen mit Schminke oder nach Facelifting?

Eric Standop: Es kommt darauf an, was man wissen will. Beim Thema Gesundheit ist Make-up eine ganz grosse Hürde, weil es Hohlräume und Gesichtsfarbe abdeckt. Aber Schminke stört nicht beim Lesen von Potenzial oder beim Erkennen, ob jemand lügt. Beim Facelifting ist beispielsweise das Aufspritzen der Lippen in den ersten drei Wochen ein Problem, da es die Muskulatur behindert. Ist plastische Chirurgie im Spiel, wird es schwierig. Da muss man quasi rückwärts denken und sich fragen, wieso eine Person die Nase operiert hat. Das ist dann fast Detektivarbeit.

Eric Standop training
Eric Standop spricht während eines Trainings seiner «Academy of Face Reading». - zvg

Nau.ch: Warum ist Gesichtslesen nicht Hokuspokus?

Eric Standop: Es ist eine menschliche Fähigkeit und von Geburt an gegeben. Selbst blinde Babies haben die gleiche Mimik, wie Menschen, die sehen können: Unser Gesicht ist über Nervenbahnen mit allen wichtigen Organen im Körper verbunden und es gibt 43 Gesichtsmuskeln. Nicht von ungefähr heisst es, dass die Augen das Tor zur Seele sind. Der «Nervus opticus» gibt viele Infos preis. Wenn Menschen nicht gesund sind, verändert sich das Gesicht. Ich zitiere hier den Schweizer Arzt Paracelsus: «Alles, was innen passiert, ist aussen sichtbar.» Selbst ein Anfänger würde einen Schwerkranken anhand seines Gesichts als solchen erkennen.

Nau.ch: Geben Sie uns ein konkretes Beispiel eines Face Readings.

Eric Standop: Ein Liebespaar hat seit zwei Jahren nur noch Streit und kommt zu mir in ein Love Reading. Ich achte mich darauf, wie sie sich anschauen, wenn sie interagieren. Daraus abgeleitet, gebe ich dem Paar Techniken vom Gesichtlesen auf den Weg, die einer Beziehung auf die Sprünge helfen können. Wenn der gegenseitige Respekt verloren gegangen ist, hilft aber auch das nicht mehr. Bei Vertrauensverlust gibt es hingegen noch Hoffnung.

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