Gleis-Mord: Strategie-Experte kritisiert Bundesrat und SBB
Nach dem Gleis-Mord ist die Sicherheit auch an SBB Bahnhöfen ein Thema. Strategieexperte Albert Stahel redet Klartext und kritisiert SBB und Bundesrat.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Mann stiess am Montagvormittag einen Jungen und seine Mutter vor einen ICE.
- Die Gleis-Attacke am Frankfurter Hauptbahnhof löst eine Diskussion um die Sicherheit aus.
- Strategie- und Sicherheitsexperte Albert Stahel im Interview mit Nau.
Der tragische Vorfall am Frankfurter Hauptbahnhof, bei dem ein Achtjähriger auf das Gleis gestossen und getötet wurde, empört ganz Europa. Dieses traurige Ereignis eröffnet aber auch die Frage um die Sicherheit an den Bahnhöfen.
Strategie- und Sicherheitsexperte Albert A. Stahel beobachtet die Situation bei SBB und der Deutschen Bahn genau.
Nau.ch: Herr Stahel, die Gleis-Tötung entfacht eine Diskussion um die Sicherheit an Bahnhöfen. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Albert Stahel: Unsere Bahnhöfe wären dank der SBB durch Video-Überwachungen besser abgesichert als jene der Deutschen Bahn. Aber der Schutz durch Polizeipräsenz ist auch bei uns ungenügend. Dies ist auch die Folge der relativ kleinen Polizeikorps in der Schweiz.
Nau.ch: SBB und Bund sagen, sie können nicht viel tun und wälzen die Entscheidung auf die Politik ab. Warum ist man in der Schweiz so zurückhaltend, während die Deutschen bereits über Sicherheits-Schranken oder erhöhte Polizei-Präsenz diskutieren?
Albert Stahel: Natürlich könnten der Bund und die SBB mehr tun. Aber der Bundesrat und die Bevölkerung verhalten sich betreffend Sicherheitsanforderungen wie die drei Affen – nicht hören, nicht sehen, nicht sprechen.
Im Gegensatz zu europäischen Staaten werden bei uns Bedrohung und damit das Bedürfnis nach Sicherheit fast negiert. Ein Beispiel dafür sind die Verteidigungsausgaben pro Bruttosozialprodukt. Wir rangieren in Europa an drittletzter Stelle, vor Luxemburg und Irland. Die Schweiz verhält sich bezüglich Sicherheit im europäischen Vergleich antizyklisch.
Nau.ch: Was glauben Sie, könnte man die Bahnhöfe sicherer machen? Und wie?
Albert Stahel: Die Bahnhöfe sicherer machen? Dazu gibt es eines: Vermehrte Polizeipräzenz durch Patrouillen. Des Weiteren darf es keine unbedienten Bahnhöfe mehr geben. Dies verlangt nach mehr Personal und damit mehr Geldausgaben, aber Sicherheit kostet eben Geld.
Nau.ch: Der mutmassliche Täter war nicht international zur Fahndung ausgeschrieben. Trotzdem hinterfragen viele, wie er einfach unbeschwert über die Grenze kam. Geht die Schweiz zu locker mit «Bagatell-Kriminellen» um?
Albert Stahel: Deutschland wird von jetzt an auch seine Grenzen zur Schweiz genauer überwachen. Grenzüberwachung ist übrigens ein Dauerbrenner der Schweizer Regierung. In diesem Bereich geniesst der Bundesrat den Schlaf des Seligen.
Das Grenzwachtkorps wird durch unsere Regierung viel zu wenig unterstützt. In diesem Zusammenhang gehört auch die Fahrlässigkeit der Justiz bei der Verurteilung sogenannter «Bagatell-Krimineller». Auch hier wird weggeschaut.
Nau.ch: Was glauben Sie, wird der Fall Konsequenzen mit sich ziehen?
Albert Stahel: Ich könnte mir vorstellen, dass insbesondere Deutschland Druck auf unsere Regierung ausüben wird. Und mehr im Bereich der Sicherheit und der Vorbeugung verlangen wird. Es kann ja nicht sein, dass wir durch unser Verhalten einer Alice im Wunderland die Sicherheit anderer Staaten gefährden. Wie werden zunehmend zu einem sicherheitspolitischen Vakuum in Europa.