Grindr: Schwulen-App wertet jetzt Chats für KI-Forschung aus
Grindr, die Dating-App für Schwule, will jetzt intime Chats und sensible Informationen für die KI-Forschung verwenden. Aktivisten äussern Datenschutz-Bedenken.
Das Wichtigste in Kürze
- Grindr wertet jetzt Chats für die KI-Forschung aus – nach Einwilligung der User.
- Dabei werden auch hochsensible Informationen aus Profil und Chats verwendet.
- Datenschutz-Aktivisten warnen vor einem «schwerwiegenden» Eingriff in die Privatsphäre.
Jetzt wird die Künstliche Intelligenz (KI) fürs Online-Dating trainiert!
Über 13 Millionen schwule und bisexuelle Männer suchen auf der Dating-App Grindr die grosse Liebe oder das nächste lustvolle Abenteuer. In den Flirt-Chats geht es manchmal auch ganz schön heiss und schlüpfrig zu und her. Jetzt sollen diese intimen Nachrichten für die Forschung verwendet werden!
Ja, richtig gelesen – und zwar alles für die KI.
In einer Nachricht an seine Nutzer schreibt Grindr: «Wir bitten Sie um Ihre Einwilligung, bestimmte Arten Ihrer Daten zu verwenden, die Datenschutzgesetze als sensibel. Um die Entwicklung von KI-Technologie zu unterstützen, welche der Grindr-Community ein personalisiertes Grindr-Erlebnis ermöglicht.»
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Dafür sollen hochsensible Daten wie die ethnische Zugehörigkeit oder sexuelle Präferenzen, die in der App hinterlegt sind, verwendet werden. Auch private Chat-Nachrichten will Grindr verwenden, um einen «individualisierten Chatbot» zu erstellen.
Und auch vor dem genauen Standort macht die Schwulen-App keinen Halt. «Um lokale Empfehlungen für potenzielle Treffen zu geben.» Was auch immer das heissen mag …
Ganz am Ende werden die Nutzer gefragt, ob sie ihre Einwilligung erteilen oder nicht. Auch bei einer Ablehnung könne die App weiterhin verwendet werden.
Wie heikel ist das?
Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftrage hat auf eine Anfrage von Nau.ch hin den Sachverhalt geprüft. Bei einer Datenschutzverletzung könnte er nämlich intervenieren.
Doch: Dafür gebe es bei Grindr derzeit keine Anzeichen, teilt seine Sprecherin Silvia Böhlen mit.
Sie führt aus: «Mangels solcher Hinweise erscheint die Information seitens Grindr transparent. Und die beiden zur Auswahl stehenden Schaltflächen für die Einwilligung respektive Ablehnung werden im Anschluss an die Information gleichwertig dargestellt.»
«Schwerwiegender Eingriff in die Privatsphäre»
Grindr-Nutzer müssten sich bewusst sein, dass «besonders schützenswerte Personendaten» bearbeitet werden, mit denen sich möglicherweise ein Persönlichkeitsbild erstellen lässt. Das bedeutet «selbstverständlich einen schwerwiegenden Eingriff in ihre Privatsphäre.»
Aber: «Diese Einwilligung ist aber wie beschrieben freiwillig, ebenso wie die gänzliche Nutzung von Grindr.» Es liege im Ermessen und in der Verantwortung jedes Nutzers abzuwägen, ob er sich auch die neuen Funktionen einlassen möchte.
Schärfer fällt die Antwort vom Europäischen Zentrum für digitale Rechte NOYB aus. Datenschutz-Aktivist Simon Feher-Lehrner sagt zu Nau.ch: «Wir beobachten, dass mehr und mehr Unternehmen versuchen, beim KI-Hype mitzuwirken. Und von Daten (erneut) zu profitieren, die zwar vorhanden sind, aber bisher zu einem völlig anderen Zweck verarbeitetet wurden.»
Er warnt: «Je umfangreicher und sensibler die wiederverwerteten Daten sind, desto gefährlicher ist eine solche Nutzung.»
Dass Nutzerinnen und Nutzer um Erlaubnis gefragt werden, sei eine «Selbstverständlichkeit». «Das ist aber leider keineswegs immer der Fall.»
«Löschung von Daten später kaum noch möglich»
Doch im Fall von Grindr geht ihm die Transparenz zu wenig weit: «Problematisch ist insbesondere, dass offengelassen wird, was genau die Entwicklung von KI-Technologien beinhaltet. Und wofür diese Technologien zukünftig konkret eingesetzt werden sollen.»
Das heisst: «Betroffene können daher gar nicht abschliessend beurteilen, worin sie einwilligen und welche Folgen das letztlich für sie haben kann.»
Nutzer sollten wissen, «dass eine Löschung von Daten, die zum Training eines KI-Modells verwendet wurden, später kaum noch möglich ist».
Immer wieder komme es vor, dass personenbezogene Daten aus einem KI-Modell herausgezogen werden können.
Grindr schweigt zu Kritik
Der Appell des Datenschutz-Aktivisten an Grindr-Nutzer: «Bei einer App, die auf so viele sensible Daten zurückgreift, sollte gründlich überlegt werden, ob eine solche Einwilligung erteilt wird.»
Nur: Grindr will sich nicht in die Karten blicken lassen. Trotz mehrmaliger Nachfrage liess die Medienstelle eine Nau.ch-Anfrage ins Leere laufen. Doch Schweigen ist bekanntlich auch eine Antwort …