Infizierte: «Werde wegen Coronavirus behandelt wie ein Parasit!»

Rowena Goebel
Rowena Goebel

Baden,

Die Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus ist verständlich. Doch einige werden vor Panik blind – und verletzend. Das muss eine junge Frau nun erfahren.

Coronavirus
Abstand halten – aber bitte anständig. Das fordert eine junge Corona-Infizierte. (Archivbild) - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Anna H.* (20) aus Baden AG wurde vergangene Woche positiv auf das Coronavirus getestet.
  • Sie hat Glück – ihr Krankheitsverlauf ist mild. Trotzdem leidet sie stark an den Folgen.
  • Seit dem positiven Resultat werde sie von ihren Mitmenschen behandelt wie eine Aussätzige.

Dass die Pandemie auf die Psyche schlägt ist mittlerweile bekannt. Besonders in der zweiten Welle leiden viele Menschen unter den Folgen der Krise. Doch auch eine Infektion mit dem Coronavirus kann psychisch sehr belastend sein, wie eine junge Nau.ch-Leserin derzeit erfahren muss.

Die PH-Studentin Anna H.* (20) aus Baden AG wird letzte Woche positiv auf Covid-19 getestet. Nachdem ihre Infektion bekannt wird, wird sie von allen Seiten kontaktiert – für sie schwierig.

Nachrichtenflut nach positivem Testresultat

Die Schule, an der Anna H. ein Praktikum gemacht hat, ruft sie danach mehrmals an, wie sie zu Nau.ch sagt. «Die Schulleitung wollte wissen, ob sie die Kinder in Quarantäne schicken muss.»

Sie wird auch gefragt, ob sie sich mit einer Mutation oder dem ursprünglichen Coronavirus angesteckt habe. «Ich hatte keinen Befund und wusste selber nur, dass ich positiv war», erklärt sie.

Coronavirus
Nachdem Anna das positive Testresultat hatte, klingelte ihr Telefon ununterbrochen. (Archivbild) - Keystone

Die Studentin glaubt zu erkennen, dass die Menschen kaum in das Contact Tracing vertrauen: «Viele Leute aus meinem Umfeld haben mich gefragt, ob sie sich nun auch testen lassen müssen. Dabei wussten sie vom Contact Tracing schon, dass das nicht nötig ist.» Die PH kontaktiert sie ebenfalls – man will wissen, ob sie sich kürzlich in den Räumlichkeiten aufgehalten habe. «Dabei ist der Campus geschlossen, ich war schon lange nicht mehr dort.»

«Ich hatte Glück, dass ich einen leichten Krankheitsverlauf habe», sagt die Studentin. «Ich weiss nicht, wie jemand, den es schwerer trifft, mit all den Anrufen und Nachrichten fertig werden soll.» Neben einem Kratzen im Hals, Husten, Kopfschmerzen und einer laufenden Nase fühlt sie sich fit.

Studentin (20): «Musste draussen essen»

Neben der Schule und PH bekommt die Studentin auch Nachrichten von Freunden. Einige schreiben ihr, wie froh sie seien, sie schon länger nicht mehr gesehen zu haben. «Das verletzt.»

Als die Symptome ihrer Mutter bekannt werden, muss Anna H. noch nicht in Quarantäne und geht weiterhin zur Arbeit. Auch was sie dort erfährt, schmerzt sie: «Die Leute wollten nicht mehr neben mich sitzen und baten mich, draussen zu essen.»

Coronavirus - Schweiz
Ärzte und Pflegepersonal kümmern sich auf der Covid-19-Intensivabteilung im Stadtspital Triemli um Patienten. - dpa

Die Angst vor dem Coronavirus kann die 20-Jährige gut nachvollziehen. «Aber die Menschen müssen verstehen, wie kränkend ihr Verhalten ist.« Nur weil jemand positiv ist, heisse das nicht, dass man diese Person wie eine Aussätzige behandeln dürfe. «Mir wird ein Gefühl vermittelt, als sei ich ein Parasit, etwas, was man loswerden will.»

«Unser Nachbarsbub wurde wegen des Coronavirus verprügelt»

Anderen aus ihrem Umfeld ergeht es ähnlich: «Unser Nachbarsbub wurde in der Schule sogar verprügelt, weil er Corona hatte.» Die Studentin glaubt, dass viele vergessen, dass auch Infizierte genauso Angst vor dem Virus haben. «Wir können ja nichts dafür, dass wir uns angesteckt haben!»

Anna H. und ihre Familie haben sich immer an die Schutzkonzepte gehalten. Sie wisse nicht, wo sie sich infiziert habe. «Meine Mutter hatte als erste Symptome, sie war aber in den letzten Tagen nur im Supermarkt.»

Daher sei es sehr unlogisch, dass sie das Coronavirus in die vierköpfige Familie gebracht habe. «Wir gehen davon aus, dass es jemand anderes von uns eingeschleppt hat. Wir haben teilweise ÖV benutzt und ich arbeite mit Kindern, da kann es gut sein, dass es von da kommt.»

Psychologen-Föderation: «Beobachten Häufung solcher Fälle»

Anna H. ist mit ihrer Erfahrung nicht alleine, wie eine Nachfrage bei der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen FSP zeigt. «Unsere Mitglieder berichten über eine Häufung von ähnlichen Fällen: Infizierte, die unter der Isolation und verletzendem Verhalten durch Personen aus dem Umfeld leiden», bestätigt Sprecher Philipp Thüler gegenüber Nau.ch.

Coronavirus
Besonders oft leiden junge Menschen psychisch unter den Folgen der Krise um das Coronavirus. (Symbolbild) - Keystone

Längst ist bekannt, dass das Coronavirus für viele Menschen eine schwere psychische Belastung darstellt. Einer Studie der Universität Basel vom Dezember zufolge leidet in der Schweiz fast jeder Fünfte an schweren depressiven Symptomen.

Brauchen Sie Hilfe?

Sind Sie selbst depressiv oder haben Selbstmord-Gedanken? Dann kontaktieren Sie umgehend die Dargebotene Hand (www.143.ch).

Unter der kostenlosen Hotline 143 erhalten Sie anonym und rund um die Uhr Hilfe von Beratern. Sie können Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen.

Auch eine Kontaktaufnahme über einen Einzelchat oder anonyme Beratung via Mail ist möglich.

*Name geändert

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