Ist Coronavirus schuld an Zunahme der Jugendkriminalität?
Insgesamt wurden letztes Jahr acht Prozent mehr Minderjährige als im Vorjahr verzeigt. Ein Experte erklärt, ob es einen Zusammenhang zum Coronavirus gibt.
Das Wichtigste in Kürze
- Gemäss Kriminalstatistik haben letztes Jahr 10'553 Minderjährige Straftaten begangen.
- Ein Experte für Kriminalprävention ist von dieser Zunahme nicht überrascht.
- Diese allein auf die Pandemie-Situation zu schieben, wäre aus seiner Sicht aber falsch.
Diese Woche hat das Bundesamt für Statistik die Kriminalstatistik für das Jahr 2020 veröffentlicht. Daraus geht unter anderem hervor, dass im vom Coronavirus geprägten Jahr insgesamt 10'553 Minderjährige verzeigt wurden. Das sind gleich acht Prozent mehr als im Vorjahr.
Ihnen seien vor allem «geringfügige Straftaten» wie Sachbeschädigung, Ladendiebstahl, Tätlichkeiten, Beschimpfungen oder Pornografie zur Last gelegt worden. Auch Einbruch- oder Einschleichdiebstähle und Drohungen gehören zu den Straftaten.
«Jugendkriminalität war schon immer vor allem sogenannte Bagatellkriminalität, das heisst die Mehrheit der Jugendlichen begeht leichte Delikte.» Das erklärt Dirk Baier, Experte für Kriminalprävention an der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), auf Anfrage von Nau.ch.
«Massnahmen wegen Coronavirus haben zuerst junge Menschen getroffen»
Dass die Jugendkriminalität zugenommen habe, überrascht den Experten nicht. In der Schweiz habe man diesbezüglich schon seit dem Jahr 2015 ansteigende Zahlen. Die Pandemie des Coronavirus habe zudem die Situationen junger Menschen alles andere als verbessert. «Es war zu erwarten, dass sich dies im Verhalten niederschlägt.»
Es sei aber bereits vor dem Coronavirus eine Zunahme festgestellt worden. Deswegen «wäre es falsch, die derzeitigen Entwicklungen allein auf die Pandemie-Situation zu schieben».
Allerdings habe die Pandemie, beziehungsweise hätten die zu ihrer Eingrenzung beschlossenen Massnahmen, natürlich zuerst die jungen Menschen getroffen. Da sie sich weniger treffen können, ihre Freizeitmöglichkeiten beschränkt wurden oder etwa ihr Zukunftsoptimismus gedämpft wurde. «Das frustriert und kann sich dann auch in Gewalt und Kriminalität niederschlagen», erklärt Baier.
Schlechtere Zukunftsaussichten und Zunahme von Aggressivität
Gemäss Baier habe insbesondere das Gewaltverhalten in den letzten Jahren zugenommen, also jene Bereiche, die gerade keine Bagatelldelikte darstellen. Das seien zum Beispiel schwere Körperverletzung oder Raubtaten. Bislang sei noch nicht klar, woran das liege.
Drei Aspekte gebe es aber sicher zu beachten: «Erstens haben sich die Zukunftsaussichten junger Menschen eher verschlechtert, was zum Beispiel das Finden einer Ausbildungsstätte anbelangt. Zweitens gibt es generell eine Zunahme von Aggressivität, wie man unter anderem an Beleidigungen, Herabsetzungen usw. in den sozialen Medien sehen kann. Drittens haben wir uns in den letzten Jahren insbesondere um die Radikalisierung gekümmert und dabei die Gewaltprävention etwas vernachlässigt.»
Zusammenarbeit von Schulen, Sozialer Arbeit, Zivilgesellschaft und Polizei
Wie eine erfolgreiche Prävention von Jugendgewalt aussehen könnte, habe die Schweiz vor 15 Jahren gezeigt. Da wurde ein schweizweiter Aktionsplan gegen Jugendgewalt beschlossen, der viele Impulse für die Prävention gesetzt hat. Diesen Schwung braucht es jetzt wieder; und dieser Schwung kann am besten vom Bund ausgehen. Dabei gilt natürlich: Der Bund initiiert, umgesetzt werden muss es vor Ort», sagt Baier.
Es brauche also in den Städten und Gemeinden starke Partnerschaften zwischen Schulen, Sozialer Arbeit, Zivilgesellschaft und Polizei. Die gemeinsam am Problem Jugendgewalt arbeiten. «Indem sie jungen Menschen den Wert eines friedlichen Zusammenlebens verdeutlichen, hierzu die Kompetenzen vermitteln und Zukunftsoptimismus bei Jugendlichen wecken.»