EU

Ja zur Zuwanderungsinitiative hat Beziehung zur EU nicht beschädigt

Die SVP-Zuwanderungsinitiative hat das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU nicht nachhaltig geschadet, so Politologe Fabio Wasserfallen.

Schweiz und EU
Trotz der Diskussionen über die Personenfreizügigkeit machen die Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU Fortschritte. - sda - KEYSTONE/GAETAN BALLY

Vor zehn Jahren haben die Stimmberechtigten die Zuwanderungsinitiative der SVP angenommen. Obwohl diese die Personenfreizügigkeit mit der EU infrage stellte, hat dies dem Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU laut dem Berner Politologen Fabio Wasserfallen nicht nachhaltig geschadet. Mit ihrer Initiative habe die SVP das Thema Einwanderung jedoch innenpolitisch zum Dauerbrenner gemacht, bilanzierte Wasserfallen im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Mit 50,3 Prozent hatten die Stimmberechtigten am 9. Februar 2014 die Zuwanderungsinitiative angenommen. Gleich nach der Volksabstimmung sei es für die EU nicht klar gewesen, was das Abstimmungsresultat konkret für die Personenfreizügigkeit bedeute, erklärte Wasserfallen, Professor für Europäische Politik an der Universität Bern.

Die EU reagierte wohl deshalb umgehend und legte die laufenden Verhandlungen mit der Schweiz über ihre Teilnahme an den damaligen EU-Programmen wie dem Forschungsprogramm «Horizon 2020», dem Mobilitätsprogramm «Erasmus» und dem Kulturprogramm «Kreatives Europa» auf Eis.

Schweizer Parlament setzt SVP-Initiative um

Schliesslich setzte das Parlament die SVP-Initiative mit dem Inländervorrang um. Diese milde Umsetzung der Initiative trat Mitte 2018 in Kraft. Damit habe sich jedoch die Situation mit der EU noch nicht vollends beruhigt, sagte der Politologe und verwies auf die Begrenzungsinitiative.

Denn für die SVP war ihre Zuwanderungsinitiative viel zu lasch umgesetzt worden, sodass sie mit einer neuen Initiative das Ende der Personenfreizügigkeit mit der EU forderte. Bei Annahme der Initiative müsse der Bundesrat das Freizügigkeitsabkommen «innerhalb von zwölf Monaten durch Verhandlungen mit der EU ausser Kraft setzen», hiess es im Initiativtext. Gelänge dies nicht, müsse das Abkommen gekündigt werden.

Die Stimmberechtigten lehnten das Volksbegehren jedoch am 27. September 2020 mit 61,7 Prozent klar ab. «Für Brüssel hat sich erst dann die Situation geklärt, und das Verhältnis Schweiz-EU hat sich definitiv beruhigt», sagte Wasserfallen.

Neue Spannungen bei Rahmenabkommensverhandlungen

Doch diese Entspannung wurde von neuen Spannungen bei den Verhandlungen zum Institutionellen Rahmenabkommen (Insta) überlagert: Ende Juni 2018 liess die EU-Kommission die Gleichwertigkeit für die Schweizer Börse SIX Swiss Exchange auslaufen. Damit wollte sie den Druck auf die Schweiz erhöhen.

In der Schweiz habe sich mit der Ablehnung der Begrenzungsinitiative die Debatte um die Zuwanderung nicht erledigt, analysierte der Berner Politologe. Mittlerweile sei das Thema «omnipräsent».

«Vielmehr hat sich politisch gezeigt, dass die Personenfreizügigkeit eine Achillesferse ist.» Diese habe ein beträchtliches Mobilisierungspotenzial, «das künftige Lösungen mit der EU schwierig machen wird», sagte Wasserfallen mit Blick auf das Abkommenspaket, an dem die Schweiz und die EU zurzeit arbeiten. Wesentliche Kritikpunkte am Paket hätten mit der Personenfreizügigkeit zu tun, wie etwa die Unionsbürgerrichtlinie (UBRL).

SVP sammelt Unterschriften für Nachhaltigkeitsinitiative

Und auch die Diskussion um eine Zehn-Millionen-Schweiz befeuere die Diskussion um die Zuwanderung. Bereits sammelt die SVP Unterschriften für ihre Nachhaltigkeitsinitiative. Darin fordert die Partei, dass die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz zehn Millionen bis 2050 nicht überschreiten darf. «Ansonsten muss der Bundesrat bevölkerungstreibende internationale Verträge kündigen», heisst es auf der Webseite des Initiativkomitees.

Erstaunlicherweise habe diese Initiative dem Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU nicht nachhaltig geschadet, schlussfolgerte Wasserfallen. Als sich etwa eine leichte Entspannung zeigte, wurde wieder an «Horizon 2020» assoziiert. Dass dies bei «Erasmus» und bei «Kreatives Europa» nicht geschah, hatte vor allem innenpolitische Gründe.

Stärkere negative Auswirkungen auf die Beziehung zwischen den beiden Partnern hatte gemäss Wasserfallen das Scheitern des Institutionellen Rahmenabkommens: Unter anderem kam es zum Verlust der Börsenäquivalenz, das Abkommen über technische Handelshemmnisse (MRA) wurde nicht mehr aktualisiert, und die Schweiz wurde nicht am neuen EU-Forschungsprogramm «Horizon Europe» assoziiert.

Vertrauen in die Schweiz wiederhergestellt

«Erstaunlicherweise ist es der Schweiz jedoch gelungen, das Vertrauen der EU wiederherzustellen», sagte Wasserfallen. Die Situation entspanne sich langsam wieder. Als eine Folge davon kann die Schweiz voraussichtlich bald interimistisch an «Horizon Europe» teilnehmen.

Anders sieht es bei «Erasmus plus» und «Kreatives Europa» aus: Seit der Zuwanderungsinitiative 2014 gibt es an beiden EU-Programmen keine Schweizer Teilnahme mehr – zulasten der Studierenden, Berufsschüler und Künstlerinnen.

Kommentare

User #4780 (nicht angemeldet)

Pures Wunschdenken. Spätestens seit der MEI geht es auch der EU nicht mehr um einen Ausbau der Beziehungen, sondern nur noch um eine Optimierung der Prozesse in den gegenwärtigen Beziehungen. Die Schweiz hat sich damit selbst auf das Abstellgleis geschoben. Ob das angesichts des wachsenden Protektionismus in der Welt eine gute Entscheidung war, wird sich noch zeigen.

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