Jetzt sollen Männer soft sein – aber bitte mit Muckis
Die Vorstellungen von Männlichkeit sind im Wandel. Ein neues Ideal: sogenannte «Soft Jocks» – also Männer mit Muskeln und Gefühlen.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein neues Männlichkeitsideal bildet sich heraus.
- Der «perfekte Mann» der Neuzeit hat Erfolg, Muckis – und Gefühle.
- Experten kritisieren die Anforderungen – und finden das Ideal wenig fortschrittlich.
Dicht behaart, im Lendenschurz herumrennend und sich bis auf den Tod verprügelnd – dieses Bild von Männlichkeit hat ausgedient. Der perfekte Mann der Neuzeit hat kein Problem damit, «Babygirl» genannt zu werden.
Jedenfalls wenn man dem US-Frauenmagazin «Bustle» glaubt. Ihm zufolge hat sich das Männlichkeitsideal der westlichen Popkultur nämlich vom Stoiker zum sogenannten «Soft Jock» gewandelt. In sind jetzt also ehrgeizige Muskelprotze mit Gefühlen.
Ein paar Beispiele gefällig? Laut Soziologe Ueli Mäder Ski-Superstar Marco Odermatt (megaerfolgreich, 1,84 Meter gross) und Schwingerkönig und Familienmensch Chrigu Stucki (fast zwei Meter gross und um die 150 Kilo schwer).
«Beide sind soft und muskulös», sagt Mäder zu Nau.ch. «Stucki hütet Kinder und kocht gerne. Und Odermatt kommt echt und recht bescheiden daher – ohne zu protzen, das schätzen viele.»
Von «extrem toxisch» zu «ein bisschen weniger toxisch»
Auch Taylor-Swift-Schatz und 1,96-Meter-Muskelberg Travis Kelce ist – laut dem Frauenmagazin – ein «Soft Jock». Denn: Der Footballspieler schmachtet seine Freundin jeweils vom Publikumsplatz aus an, wenn sie auf der Bühne steht.
«Dass Männer öffentlich Frauen feiern, das ist tatsächlich neu», sagt Christoph May vom Institut für Kritische Männlichkeitsforschung zu Nau.ch.
Ansonsten ist er wenig beeindruckt von diesem neuen Männlichkeitsideal, das sich in einigen Kreisen etabliert. «Es ist doch das bare Minimum – Männer, die Menschen sein wollen und Gefühle zeigen.»
Als Vorreiter sieht er die «Soft Jocks» also nicht. Über Odermatt und Stucki sagt er: «Bekenntnisse zu Feminismus oder Kritik an toxischer Männlichkeit habe ich von beiden keine gefunden. Das wäre, was sie in meinen Augen wirklich zu Beispielen machen würde.»
Auch für Markus Theunert von der Männerorganisation Männer.ch ist der «Soft Jock»-Trend nichts Bahnbrechendes. «Aus geschlechterpolitischer Sicht ist es kein Fortschritt, wenn extrem toxische durch ein bisschen weniger toxische Männlichkeitsnormen abgelöst werden.»
Er warne deshalb davor, den soften Muskelmann als neues Ideal auszurufen. «Eigentlicher Fortschritt wäre, Vielfalt zuzulassen und jeden Mann in seinem Menschsein zu fördern und zu akzeptieren.»
Stars zeigen sich soft – Normalos weniger
Aber wer – wenn nicht der «Soft Jock» – zeigt Männern sonst, dass sie sich selbst sein dürfen, Gefühle inklusive? «Beispiele für softe Männlichkeit sind in meinen Augen Harry Styles und Troye Sivan», sagt May.
Die beiden Sänger spielen tatsächlich deutlich mehr mit Geschlechternormen als Kelce und Co. Der homosexuelle Troye Sivan zeigt sich zum Beispiel in seinem Musikvideo «One of Your Girls» von seiner femininen Seite.
Und Harry Styles trägt Perlohrringe, pink, Glitzer und durchsichtige Blusen. Anders als viele «Soft Jocks» spricht er sich zudem öffentlich für Feminismus aus. Was er mit Footballspieler Kelce gemein hat: Auch er war einmal mit Poptitanin Taylor Swift liiert – und auch er hat ein Mega-Sixpack.
Was auf der Bühne längst angekommen ist, hat sich jedoch gesamtgesellschaftlich nicht durchgesetzt, gibt May zu bedenken. «Es ist so: Es gibt mehr Stars, die dieses extrem maskuline, toxische Männlichkeitsbild ablehnen. Aber in vielen Teilen der Bevölkerung bleibt es statistisch beispielsweise selten, einen Mann zu sehen, der auf sein Kind aufpasst.»
Zudem gebe es nach den Feminismus-Wellen der letzten Jahre – #MeToo, Frauenstreiks, Barbie – auch radikale Gegenbewegungen. «Männlichkeits-Influencer wie Andrew Tate und radikal-konservative Männer-Parteien, etwa die AfD, boomen», gibt May zu bedenken.
Männer wissen gar nicht mehr, wie sie sein sollen
Von Glitzerlook-Sängern über familienorientierte Sportler bis hin zu Frauenhass-Influencern – die Auswahl an Vorbildern ist fast grenzenlos. «Heute werden zusehends widersprüchliche Männlichkeitsanforderungen an Männer gerichtet», kritisiert Theunert.
«Sie sollen zwar traditionelle Qualitäten – leistungsstarker Ernährer und muskulöser Körper – beibehalten. Neu sollen sie aber auch emotionale und soziale Kompetenzen entwickeln.»
Das Problem dabei: «Das ist dermassen widersprüchlich, dass es fast nicht leistbar ist.» Diese Anforderungen würden viele Männer verunsichern.
Theunert ruft zu Mut auf – man sollte erkennen, dass man nicht alle Anforderungen erfüllen muss. «Stattdessen sollte ich mich fragen, wie ich ganz persönlich Mann sein will. Männlichkeit ist gestaltbar.»
Wo die Zukunft der Männlichkeitsideale hinführt, wird sich in den nächsten Monaten zeigen, ist May überzeugt. «Ich glaube, dieses Jahr ist entscheidend. Entweder gibt es Fortschritt – oder wir werden zurück in die 50er-Jahre katapultiert.»