Junge Flüchtlinge suchen verzweifelt WG-Zimmer
Viel Kontakt, viel Sparen: WG-Zimmer sind beliebt – auch bei Flüchtlingen. Das fördert nebenbei auch die Integration, erfordert aber auch einen Mehraufwand.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Berner wird mit WG-Bewerbungen von jungen Flüchtlingen geflutet.
- «Innerhalb eines halben Tages erhielt ich rund ein Dutzend solcher Anfragen», sagt er.
- Der Asylsozialdienst erklärt: Nicht nur spart man mit WGs Geld, man lernt auch Deutsch.
«Ich bin 18 Jahre alt und komme aus Afghanistan. Wann kann ich eure WG besichtigen?» Solche Nachrichten erhält Jan Willen* (25) derzeit zuhauf.
Der Student sucht für seine WG in der Stadt Bern gerade per Online-Inserat einen neuen Mitbewohner. Dabei wird er von Anfragen junger Flüchtlinge gerade überrannt.
«Allein innerhalb eines halben Tages erhielt ich rund ein Dutzend solcher Anfragen. Von 17- bis 19-Jährigen aus der Türkei und Afghanistan.»
«Mietzins gesichert»
Allfällige Vorbehalte wollen die Bewerbenden möglichst rasch aus dem Weg räumen. «Der Mietzins ist durch den Sozialdienst gesichert», heisst es zum Beispiel.
Der Grund für die hohe Nachfrage an WG-Zimmern bei Flüchtlingen ist vermutlich der Preis. «Aber auch die Möglichkeit, in einer WG schneller Deutsch zu lernen und sich somit schneller integrieren zu können.» Das sagt Reyhan Pektaş vom Asylsozialdienst der Stadt Bern zu Nau.ch.
Grundsätzlich ermöglichen WGs ein Zusammenleben mit Personen aus anderen Kulturen oder der Schweizer Kultur. Aus diesen Gründen – und der geringeren Mietkosten – unterstütze der Asylsozialdienst grundsätzlich die Möglichkeit von Wohngemeinschaften.
«Leben in Kollektivunterkunft ist belastend»
Lionel Walter, Sprecher der Flüchtlingshilfe erklärt gegenüber Nau.ch, dass Geflüchtete im Kanton Bern in der ersten Phase in Kollektivunterkünften leben. «Das Leben in einer Kollektivunterkunft ist grundsätzlich belastend. Und viele Personen ziehen es vor, so rasch wie möglich in eine Individualunterkunft zu wechseln.»
Dafür müssen sie verschiedene Integrationskriterien erfüllen: Sprachniveau A1 und eine Erwerbstätigkeit oder eine Ausbildung.
Reyhan Pektaş vom Asylsozialdienst der Stadt Bern erklärt weiter: «Gemäss Gesetz gelten Klientinnen und Klienten bis 25 als junge Erwachsene.» Je nach Wohngemeinde ist die Mietzinslimite bei jungen Erwachsenen geringer als bei Einpersonenhaushalten nicht junger Erwachsener.
Die Sozialarbeitenden helfen den Geflüchteten aber nicht bei der Suche nach einer WG. Dafür hätten sie keine Kapazität – nebstdem sei dies auch nicht der gesetzliche Auftrag.
«Jedoch zeigen sie ihnen, auf welchen Plattformen sie suchen können und welche Unterlagen sie für eine Bewerbung organisieren. Und woher sie Unterlagen bekommen.»
Der Nachteil, wenn junge Flüchtlinge nicht in WGs sind, ist, dass sie auf sich «allein» gestellt sind. «Die Sprachkenntnisse werden dann nur im Selbststudium erlernt oder aus der Deutschkursen. Und nicht wie in einer WG, wo aus einem täglichen Austausch die Sprachkenntnisse automatisch erweitert werden.»
WG mit Flüchtlingen bedeutet gewissen Mehraufwand
Und was bedeutet ein geflüchteter Mitbewohner für den Rest der WG? «Eine Offenheit gegenüber einer eventuell neuen Kultur muss sicher vorhanden sein.»
Und: «Es muss auch beachtet werden, dass es sich hier unabhängig der Kultur oder dem Geflüchtet-Sein um junge Menschen handelt.» Daher seien sie auch mit ähnlichen Problemen konfrontiert wie junge Personen aus der Schweiz.
Reyhan Pektaş rät: «Sprache ist immer der Schlüssel einer Kultur, daher ist es das elementare Kriterium einer Integration.» Alles andere, wie Ausbildung und Arbeit, komme später respektive parallel dazu. «Wenn es das ermöglicht.»
Flüchtlinge brauchen Ansprechperson
Lionel Walter von der Flüchtlingshilfe ergänzt: «Eine Schwierigkeit in WGs ist sicher die Organisation des Zusammenlebens. Hier braucht es eine gute Kommunikation und gegenseitige Verständigung bezüglich der Erwartungen.»
Das sei aber eine allgemeine Herausforderung in WGs – auch ohne Flüchtlinge. Doch: «Sprachbarrieren und unterschiedliche Erfahrungen aus den Herkunftsländern stellen eine zusätzliche Komponente dar», so Walter.
Und: «Wichtig ist auch beim Wohnen in WGs, dass die jungen Geflüchteten genügend Begleitung und eine Ansprechperson haben, die verfügbar ist.»
Für Nau.ch-Leser Jan Willen wirkt das abschreckend. Er hat sich dazu entschieden, die Anfragen der jungen Flüchtlinge nicht zu berücksichtigen. «Mein derzeitiger Mitbewohner und ich verbringen zu wenig Zeit zu Hause, als dass man mit uns gut Deutsch lernen könnte.»
Aufruf
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* Name von der Redaktion geändert