Kann sich bald nur noch Elite den Konsum am Bahnhof leisten?
Die SBB plant, Luxusrestaurants und Markengeschäfte in grossen Bahnhöfen zu etablieren. Das geht auf Kosten jener, die nur wenig Geld haben.
Das Wichtigste in Kürze
- An Schweizer Bahnhöfen wird Essen und Einkaufen immer teurer.
- Wirtschaftspsychologe Christian Fichter sieht in diesem Trend ein Problem.
- Die SBB versteht die Kritik nicht und bekräftitgt, für jeden Geldbeutel etwas anzubieten.
Die Bahnhöfe in der Schweiz werden chicer und teurer. Grund: Die SBB will hochwertige Restaurants und bekannte Markengeschäfte in grossen Bahnhöfen wie Zürich, Basel und Bern etablieren. Billig-Restaurants wie etwa der Burger King und die Nordsee müssen aus der Haupthalle weg.
Das zeigt sich schon jetzt am Beispiel Zürich: Die neusten Mieter im frisch renovierten Südtrakt bieten bald eine Pizza Margherita für 24 Franken und Chicken Wings ab 26.50 Franken an.
Wirtschaftspsychologe Christian Fichter schüttelt den Kopf: «Ich finde das bedenklich. Das sind schon sehr selbstbewusste Preise für 08-15-Convenience-Produkte.»
Er findet: Eigentlich müsse die Ladenstruktur an Bahnhöfen dem durchmischten Publikum gerecht werden.
Kann sich also bald nur noch die Elite Essen und Shoppen am Bahnhof leisten? Fichter bejaht. «Jetzt besteht die Gefahr, dass weniger Begüterte von der Teilhabe an einem wichtigen gesellschaftlichen Austauschort ausgeschlossen werden.»
Doch woher kommt die Tendenz zu immer höheren Preisen? Gab es eine Zielgruppe, die bislang zu wenig auf ihre Kosten kam?
«Bahnhöfe haben Funktion von Dorfzentren übernommen»
Fichter erklärt: «Früher waren Bahnhöfe nur zum Reisen da, heute haben sie die Funktion von Dorfzentren übernommen. Einfach, weil die Menschen heute als Pendler dauernd unterwegs und dadurch immer wieder an Bahnhöfen sind.»
Diese seien da der kleinste gemeinsame Nenner, um sich zu treffen. «Das gilt insbesondere auch für geschäftliche Termine: Wenns aufs Geschäft geht, dann lässt sich die feine Kundschaft das eben gerne etwas kosten.» Preiserhöhungen seien also naheliegend.
SBB nicht mit Darstellung einverstanden
Die SBB wehrt sich gegen diese Darstellung: Bahnhöfe seien auch früher nicht nur zum Reisen dagwesen, kontert die Medienstelle. «Im Hauptbahnhof Zürich gab es Bahnhofbuffets erster, zweiter und dritter Klasse. Es gab sogar mal ein Bahnhofskino.»
Die neuen Gastrokonzepte sollen zur Historie und zur «Wertigkeit» des neuen Südtrakts passen. «Dazu wurden bewusst sorgfältig Partnerschaften mit in Zürich bekannten und beliebten Gastronomen gewählt.» Ziel sei ein breites gastronomisches Angebot.
In diesem habe Gastronomie für jeden Geldbeutel Platz. Günstig esse man beispielsweise aktuell im Zürcher HB im öffentlich zugänglichen Personalrestaurant «Oase – Chez SBB». Gleiches gelte für das Shopping-Angebot.
Keine Konkurrenz zur Stadt-Gastronomie
Dass chice Bahnhofsbeizen den Szene-Restaurants in den Stadt-Quartieren den Garaus machen, glaubt Experte Fiechter aber nicht: «Bahnhof ist und bleibt Bahnhof: Das Temporäre, Flüchtige, Gehetzte lässt sich nicht ausblenden. Das widerspricht stark unserem Erholungsbedürfnis.»
Daher hätten etablierte Restaurants, in die man zur Erholung und zum Essen geht, keine Konkurrenz vom Bahnhof zu befürchten. Zumindest, solange sie auch wirklich Erholung bieten.
Die Caritas sieht die Bahnhöfe schon heute nicht als Ort, «wo man sich günstig verpflegen kann». Das Budget von armutsbetroffenen und armutsgefährdeten Menschen reiche nicht aus, um sich bei To-Go-Anbietern zu ernähren. Einzig die Sonderangebote in Filialen von grossen Detailhändlern seien erschwinglich, heisst es auf Anfrage.
Trotz Nobel-Restaurants nicht mehr Lohn für Angestellte
Für die Arbeitnehmer in den Bahnhöfen ändert sich durch die teureren Lokale kaum etwas. Die auswärtige Verpflegung sei bereits jetzt teuer, teilt die Unia gegenüber Nau.ch mit. «Arbeitnehmende nehmen meist ihr Mittagessen von zuhause mit oder kaufen sich etwas Günstiges in einem Grossverteiler.»
Und auch bei den Arbeitsbedingungen gibt es keine Unterschiede: Sowohl die Löhne als auch die Bedingungen seien in Nobel-Restaurants nicht besser als bei günstigeren Anbietern.
Immerhin: Gastro-Mitarbeitende, die nun aus den Bahnhöfen rausmüssen, dürften schnell wieder eine Stelle finden. Denn diese Jobs seien zurzeit sehr gesucht, so die Unia weiter. Aber: «Allerdings ist die Situation natürlich verunsichernd und mit Aufwand verbunden.»