Kinder als Täter: Ist die Zeit der harmlosen Doktorspiele vorbei?
Das Wichtigste in Kürze
- Diese Woche schockierten Berichte über zwei mutmassliche Vergewaltigungen durch Kinder.
- Die Täter waren in einem Fall 12 bis 14 Jahre alt. Im anderen Fall war das Kind erst neun.
In der deutschen Stadt Mülheim vergewaltigt eine Gruppe von 12 bis 14-jährigen Jungen ein 18-jähriges Mädchen und filmt sich dabei. In einem Ferienlager im Tessin zwingt ein 9-Jähriger einen 7-jährigen Buben zum Oralsex.
Solche Geschichten schockieren. Und sie nehmen zu, sagt Ilka Mathis von der Zürcher Beratungsstelle Kokon für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Die Zahl der Verurteilungen von Minderjährigen wegen Sexualdelikten ist in den letzten Jahren gestiegen.
Mehr Kinder wegen Sexualdelikten verurteilt
Daraus lasse sich jedoch nicht schliessen, dass die Zahl der sexuellen Übergriffe von Kindern an Kindern generell steige. «Veränderte Gesetzgebung, bessere rechtliche Aufklärung, steigende Sensibilität in der Gesellschaft für solche Delikte. All das lässt vermuten, dass mehr solche Delikte zur Anzeige gelangen», sagt Mathis.
Ein Hauptgrund für ungesundes Sexualverhalten bei Jugendlichen und Erwachsenen lässt sich nicht benennen. Für Mathis spielt jedoch der Konsum von Pornografie eine zentrale Rolle. «Grundsätzlich kann man sagen, dass Kinder und Jugendliche heute bestimmt häufiger übers Internet mit pornografischen Inhalten konfrontiert sind.»
So kämen sie häufiger mit Inhalten in Kontakt, die eine Verbindung zwischen Gewalt und Sexualität herstellen. Diese Bilder gingen oft weit über die eigenen Erfahrungen mit Sexualität heraus. Für Kinder sind diese schwer einzuordnen. Trotzdem könne Pornografie im Internet nicht per se für übergriffiges, sexuelles Verhalten von Kindern verantwortlich gemacht werden.
Wenn es nicht beim «Dökterle» bleibt
Mathis geht davon aus, dass Übergriffe von Kindern an Kindern heute eher als solche wahrgenommen werden als früher. Sie sagt: «Die harmlosen Doktorspiele gibt es wohl heute noch genauso, wie es früher auch schon übergriffiges Verhalten gab.»
Wichtig sei die Unterscheidung, wo das Spiel aufhört und die sexuellen Übergriffe beginnen. Die Freiwilligkeit sei beim «Dökterle» ein zentrales Merkmal. Falls Eltern merken, dass ihr Kind übergriffige Tendenzen aufweist, rät Mathis zu einer präventiven Beratung beim Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst.
Für sie ist klar: «Je früher ein tätliches Kind erfasst wird, desto grösser die Chance, dass es einen anderen Umgang mit seinen Ohnmachtsgefühlen lernt.» So könne verhindert werden, dass das Kind in eine Spirale gerate, in welcher der Schweregrad der Übergriffe stets zunehme.