Laut Antisemitismusexperte wird sich Kristallnacht nicht wiederholen
Vor 80 Jahren kam es in Deutschland zum grössten Judenpogrom der Geschichte. Laut Erik Petry, Professor an der Uni Basel, ist Antisemitismus immer noch aktuell.
Das Wichtigste in Kürze
- Antisemitismus ist auch 80 Jahre nach der Kristallnacht noch ein Thema.
- Ein solches Ereignis werde sich aber nicht wiederholen, so ein Experte.
«Wenn man Antisemitismus mit dem Holocaust gleichsetzt, dann wurde der Gipfel erreicht», sagt Erik Petry, der als Professor an der Universität Basel Neuere Allgemeine und Jüdische Geschichte lehrt. Nur: Antisemitismus sei mehr als der Holocaust.
Am 9. November 1938, also vor 80 Jahren, kam es in Deutschland zu den Novemberpogrome, auch Reichspogromnacht genannt. Dabei handelt es sich um eine deutschlandweite, vom nationalsozialistischen Regime organisierte Aktion gegen die jüdische Bevölkerung. An die 400 Menschen wurden getötet oder in den Suizid getrieben. Tausende jüdische Einrichtungen wie Synagogen und Geschäfte wurden zerstört. Die Pogrome markierten den Übergang zur systematischen Verfolgung der Juden, die im Holocaust mündete. Insgesamt sechs Millionen Juden wurden wegen ihrer Religion ermordet.
«Die Situation heute ist eine andere», sagt Petry. Ausschreitungen wie die Reichspogromnacht würden sich nicht mehr in derselben Form wiederholen: «Es ist ein aussergewöhnliches Ereignis». In Nazideutschland sind laut Petry bereits vorhandene, antisemitische Gedanken, verknüpft worden. Daher kam es zu diesem Ausbruch.
Geballte Gewalt
«Man kann es sich wie viele Fäden vorstellen, die dann gemeinsam zu einem starken Seil verwoben werden», so Petry. Nach und nach hat sich die Situation zugespitzt, bis zum Holocaust. Doch Antisemitismus ist noch heute ein Thema.
Formen, die bereits im 19. Jahrhundert präsent waren, sind noch heute zu finden. Beispielsweise der Stereotyp des geldgierigen Juden, oder die Idee der jüdischen Weltverschwörung. Petry: «Vorurteile, die klar falsch sind.» Die Weltverschwörung hätte immer ein Ziel gehabt: Den Juden die Zugehörigkeit zum Staat abzusprechen.
Antisemitismus zeige sich auch in der Ausgrenzung der Juden als Fremde, obwohl sie Teil des Landes seien. «Man stelle sich mal vor, die Berner würden die Jurassier nur wegen ihrer Kantonszugehörigkeit angreifen», sagt Petry. Die Ausgrenzung hätte in der Vergangenheit dazu geführt, dass jüdisch-gläubige entmenschlicht wurden, was wiederum Gewaltakte gefördert hätte.
Stimmung ist angespannt
Petrys Büro befindet sich nahe bei der Basler Synagoge. «Die Stimmung ist angespannt», so Petry. Diskussionen um die Finanzierung des Schutzes, der neu vom Kanton übernommen werden soll, hätten ebenfalls nicht zu mehr Sicherheit geführt. «Es steht die Frage im Raum: Wenn es hart auf hart kommt, ist der Staat dann für uns da?», so Petry. Es sei auch unangenehm, dass die Synagoge überhaupt immer beschützt werden müsse.
Jüngst kam es zu einer Attacke auf die jüdische Genossenschafts-Metzgerei in Basel. Unter anderem wurde die Eingangstüre zerstört. Umliegende Geschäfte blieben von einem Angriff verschont.
Der Nachrichtendienst des Bundes beurteilt die Bedrohungslage für die Schweiz aktuell als erhöht. Die Möglichkeit eines Anschlags könne nicht ausgeschlossen werden. Für Petry ist klar: Wirksam gegen Antisemitismus sind Bildung und Zivilcourage. «Jeder kann einen kleinen Teil dazu beitragen.»