Lehrerin schlägt Alarm: Kinder verbringen ganzes Wochenende am Handy
Viele Kinder wissen in der Schule wenig Spannendes aus der Freizeit zu berichten. Grund: Sie verbringen ihre Wochenenden am Handy.
Das Wichtigste in Kürze
- Viele Kinder haben kaum Erlebnisse ausserhalb der eigenen vier Wände.
- Sie verbringen ihre Freizeit vorwiegend am Handy oder vor dem TV.
- Die Folge: Konzentrationsschwierigkeiten, Unruhe oder auch Müdigkeit.
- Eine Expertin erklärt, weshalb digitale Medien nicht nur schlecht sind.
Elternabend einer 1. Primarschulklasse im Kanton Solothurn. Die Lehrerin erzählt aus dem Schulalltag. Zum Beispiel, dass die Kinder jeden Montagmorgen im Stuhlkreis sitzen und von ihrem Wochenende berichten.
Nur: «Viele Kinder wissen nicht, was sie erzählen könnten», sagt sie. Sie haben das Wochenende nämlich zum grössten Teil vor dem Bildschirm verbracht. TV geschaut oder Videogames gespielt.
Ein weitverbreitetes Phänomen in der Schweiz?
Keine Ausflüge, kein Wald, kaum frische Luft
Dagmar Rösler ist als Präsidentin des Lehrerverbands die oberste Lehrerin der Schweiz. Sie sagt zu Nau.ch: «Tatsache ist schon, dass es Kinder gibt, die keine Erlebnisse ausserhalb der eigenen vier Wände haben.»
Diese Kinder würden keine Ausflüge mit den Eltern unternehmen, waren noch nie im Wald oder auf einer Wanderung. «Je nach Schulort kann dieses Phänomen mehr oder weniger ausgeprägt sein.»
Die Schulen versuchten, dem Mangel an Erlebnissen entgegenzuwirken. Mit regelmässigen Waldtagen, Herbstwanderungen, Klassenlagern oder Exkursionen.
«Diese Erlebnisse sind sehr wichtig für Kinder, die dies mit ihren Familien nicht erleben können», sagt Rösler. «Gänzlich auffangen kann die Schule aber diesen Mangel oder diese Defizite nicht.»
«Defizite in der Grob- und Feinmotorik»
Was sind im schulischen Bereich denn die Auswirkungen von viel Screen-Zeit und wenig frischer Luft?
Rösler: «Lehrpersonen beobachten Defizite in der Grob- und Feinmotorik. Dazu Konzentrationsschwierigkeiten, Unruhe oder auch Müdigkeit.»
Die Frage nach der optimalen Bildschirmzeit für ihre Kinder beschäftigt viele Eltern.
Die Empfehlungen von Fachpersonen wie jenen von «Pro Juventute» sind klar: Kinder unter drei Jahren sollten gar nicht oder nur wenige Minuten vor dem Bildschirm sitzen. Kinder zwischen drei und fünf Jahren höchstens 30 Minuten pro Tag.
Kinder zwischen sechs und neun Jahren sollten sich maximal eine Stunde pro Tag mit TV oder PC beschäftigen. Ab dem Alter von zehn Jahren können Kinder dann auch länger vor dem Bildschirm sein.
Medienzeit geht auf Kosten von wichtigen anderen Tätigkeiten
Erstklässler fallen in die dritte Kategorie, sollten pro Tag also maximal eine Stunde vor einem Bildschirm verbringen. Klar, dass diese Grenze an Wochenenden deutlich überschritten wird, wenn die Kinder sonst nichts zu erzählen haben.
Eva Unternährer forscht an den Universitären Psychiatrischen Kliniken in Basel auf dem Gebiet zur digitalen Mediennutzung von Familien.
Sie sagt: «Eine exzessive Medienzeit geht oft auf Kosten von anderen Tätigkeiten, die Kinder für eine gesunde Entwicklung brauchen.»
Dazu gehörten zum Beispiel das Aufbauen von sozialen Beziehungen, das freie Spiel oder das Kreativsein. Medienzeit könne allerdings durchaus auch in einem positiven sozialen Kontext eingebettet sein.
«Zum Beispiel, wenn wir mit unseren Kindern gemeinsam einen Film anschauen oder ein altersgerechtes Videospiel spielen.»
Diese Begleitung des digitalen Medienkonsums sei einer der wichtigsten Aspekte für einen gesunden Medienumgang.
Unternährer betont auch die Vorbildfunktion der Eltern: «Auch wenn wir es nicht gerne hören: Oft beschweren wir uns über den Bildschirmkonsum der Jungen, aber unseren eigenen Konsum zu hinterfragen fällt uns schwer.»
Expertin appelliert an Eltern
Die Regeln sollten die Eltern möglichst gemeinsam mit den Kindern aufstellen: «Wie lange möchte man digitale Medien nutzen? Was genau möchte man sich anschauen, oder welche App benutzen?»
Gerade bei jüngeren Kindern sollten Apps und Sendungen zuerst von den Eltern begutachtet werden. «Allerdings sollten Kinder auch lernen, sich ohne digitale Medien selbst zu beschäftigen.»
Ob und wie stark der digitale Medienkonsum der Entwicklung der Kinder schadet, liegt an vielen Faktoren.
Von Medieninhalten zu Zeit vor dem Bildschirm und hin zu individuellen Charaktereigenschaften des Kindes.
Unternährer: «Wichtig wäre es, Medienkompetenz von Kindern zu fördern und gute Rahmenbedingungen zu schaffen. Damit Kinder sicher und gesund mit digitalen Medien aufwachsen können.»
Ideen-Zetteli für non-mediale Tätigkeiten
Man könne gemeinsam mit den Kindern überlegen, welche non-medialen Tätigkeiten ihnen Spass machen.
«Man könnte diese Tätigkeiten auf einen Zettel schreiben und da aufhängen, wo die Kinder normalerweise digitale Medien konsumieren. Quasi als Inspiration.»
Vielleicht würden die Kinder aus dem Elternabend im Kanton Solothurn an ihren Wochenenden dann auch andere Beschäftigungen finden. Und hätten im Stuhlkreis am Montag in der Schule spannende Geschichten zu erzählen.