Der Weg zur Psychotherapeutin ist schwer: Nach fünf Jahren Studium folgen vier Jahre Weiterbildung zu miserablen Bedingungen. Eine Psychologin packt aus.
Traurige Frau vor Geldschein
Eine Baslerin erzählt über ihr Leben als Psychotherapeutin in Ausbildung: «Ich bin sehr oft ausgelaugt und erschöpft, doch die grösste Sorge ist das Finanzielle.» (Symbolbild) - pexels

Das Wichtigste in Kürze

  • Wer Therapeut werden will, muss an die Privatschule – staatliche Schulen gibt es keine.
  • Diese Weiterbildung kostet: Angehende Psychologinnen zahlen bis zu 70'000 Franken.
  • Eine Psychologin erzählt: «Ohne wohlhabende Eltern ist der Berufseinstieg kaum tragbar.»
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Mila N.* ist 27 Jahre alt, hat einen Masterabschluss der Universität Basel. Und verdient mit einem 80-Prozent-Pensum netto nur 2700 Franken im Monat. Gute 1000 Franken fallen dabei aber für ihre Weiterbildung weg. Mila ist Psychotherapeutin in Ausbildung. Sie lebt also von 1700 Franken im Monat.

Weil Mila Psychotherapeutin werden will, hat sie bereits fünf Jahre Psychologie studiert. Um als Therapeutin arbeiten zu können, muss sie aber noch vier weitere Jahre eine private Weiterbildung besuchen. Auch benötigt sie zwei Jahre Berufserfahrung in einer psychiatrischen Klinik als Assistenzpsychologin.

Neben einem tiefen Einkommen berichtet Mila auch von einem hohen Arbeitspensum: «Du hast im Prinzip eine Sechs-Tages-Woche. Montag bis Donnerstag arbeitest du in der Klinik – Freitag und Samstag hast du Weiterbildung.»

Keine Konzerte oder eigene Wohnung bis 30

Weil die genannten Weiterbildungstage nicht jede Woche stattfinden und Mila Teilzeit arbeitet, hat sie manchmal auch drei Tage frei. Aber eben nicht wirklich, denn in dieser Zeit arbeitet Mila in ihrem Nebenjob.

Der Grund: Die Baslerin verdient im Nebenjob besser als in ihrer Anstellung als Assistenzpsychologin. «Man kommt besser über die Runden, wenn man Teilzeit arbeitet und einen Nebenjob hat», erzählt sie.

Basel Spalenberg
Wer Psychotherapeut werden will, muss nach dem Psychologie-Master eine private Weiterbildung absolvieren. In Basel gibt es rund fünf Angebote.
Psychologie Bücher
Die Weiterbildungen lehren unterschiedliche Richtungen und dauern zwischen vier bis fünf Jahren. Doch eines haben sie alle gemein: Sie sind teuer.
Screenshot Kosten AIM-Weiterbildung
Gar die günstigste Weiterbildung schätzt ihre Gesamtkosten auf über 35'000 Franken pro Person.
Frau berechnet Budget
Zusätzlich zu den Semestergebühren müssen immer auch noch die Kosten für die obligatorischen Stunden an «Selbsterfahrung» und «Supervision» bedacht werden.
Therapiestunde
Alle psychotherapeutischen Ausbildungen fordern unter anderem je 50 Stunden an «Selbsterfahrung» und «Supervision». Diese kosten erneut 160 bis 180 Franken die Stunde.
Erschöpfte Frau
In der «Selbsterfahrung» gehen die Psychologinnen und Psychologen selbst in die Psychotherapie. Diese persönliche Auseinandersetzung verlangt oft das letzte Stückchen an verbliebener Energie

Um über besagte Runden zu kommen, spart Mila, wo immer sie kann: in ihrer Freizeit, in ihrer Wohnsituation und in ihrer Krankenkasse.

Grössere Freizeitaktivitäten wie etwa Konzerte oder Festivals liegen für sie nicht drin. Aktuell lebt sie in einer Wohngemeinschaft. Etwas Eigenes kann sich Mila erst nach 30 leisten, wenn die Ausbildung abgeschlossen ist.

Bei der Krankenkasse hat Mila die höchste Franchise. Deshalb versuche sie so gut wie möglich auf ihre Gesundheit aufzupassen. Und ansonsten heisst es: «Pokern, dass ich nicht krank werde.»

«Gleiche Verantwortung wie ein ausgebildeter Psychologe»

Vollzeit zu arbeiten kommt für Mila trotzdem nicht infrage: «Ich finde, 100 Prozent ist eine Zumutung.» Neben den Weiterbildungen samt ihren Vor- und Nachbearbeitungen sei nämlich auch der psychische Stress der Arbeit sehr belastend. «Am Abend ist man regelmässig ausgelaugt und erschöpft», erzählt die 27-Jährige und spricht für sich und ihre Kolleginnen und Kollegen.

Man werde ins kalte Wasser geworfen, habe keine richtige Einarbeitung und würde von Anfang an eigene Patientinnen und Patienten übernehmen. Das sei einerseits aufregend und motivierend, aber eben auch sehr herausfordernd.

Warst du schon einmal in einer Psychotherapie?

Die Fälle seien zum Teil auch wirklich heftig. Als Assistenzpsychologin sei sie auch mit suizidalen oder akut psychotischen Patientinnen und Patienten konfrontiert. Auf der Psychose-Station müsse man zudem stets mit Übergriffen rechnen. Manche Menschen seien dort mitten im Wahn und schubsten oder packten einen einfach.

«Neben unserer grossen Verantwortung sind wir auch Risiken ausgesetzt», fasst Mila zusammen. Ihr Vorwurf: «Wir tragen die gleiche Verantwortung und Risiken wie ein ausgebildeter Psychotherapeut – werden aber nicht entsprechend bezahlt.»

Der monatliche Einstiegslohn eines Psychotherapeuten ist gute 3000 Franken höher als der eines Assistenzpsychologen. Das Ausmass dieses Gehaltsunterschieds sieht Mila als nicht gerechtfertigt.

Keine finanzielle Unterstützung möglich

Alternativ zu einer Lohnerhöhung wäre natürlich auch eine Ermässigung der Ausbildungskosten denkbar – aber nichts da. Die Möglichkeiten eines Stipendiums gibt es nur während der Zeit des Studiums.

Für die folgenden vier bis fünf Jahre Weiterbildung führt kein Weg an den Kosten vorbei. «Die Schulen sind nun mal alle privat, auch sie müssen ihre Dozierenden bezahlen», meint Mila. Staatliche Angebote zur psychotherapeutischen Weiterbildung gibt es keine.

Sollte der Staat die Psychotherapeuten-Ausbildung finanziell unterstützen?

Weil die Ausbildung so teuer ist, lebten viele von Milas Kolleginnen und Kollegen noch zu Hause. Generell könnten sich viele den Berufsweg zum Psychotherapeuten nur mit der Unterstützung der Eltern leisten.

Mila erachtet dies als Problem: «Es braucht auch Therapeuten und Therapeutinnen mit Migrationshintergrund oder aus tieferen sozio-ökonomischen Schichten.» Milas Eltern besässen beispielsweise nicht die Mittel, um sie finanziell zu unterstützen. Deshalb wisse sie auch: «Das aktuelle Ausbildungssystem erschwert den Berufseinstieg für Menschen mit begrenzten finanziellen Mitteln.»

Fehlende Subventionen sind fatal

Auch die Föderation der Schweizer Psycholog:innen (FSP) ist sich der problematischen Situation bewusst. Die Kosten für die psychotherapeutische Weiterbildung seien in der Tat sehr hoch. Je nachdem würden sich diese auf bis zu 70’000 Franken pro Person belaufen. «Das können sich längst nicht alle leisten», schreibt die FSP.

In den aktuellen Zeiten von langen Wartelisten für Therapieplätze sei dies absolut fatal. Der FSP ist dabei insbesondere die staatliche Ungleichbehandlung von Assistenzärzten und Assistenzpsychologen ein Dorn im Auge. Die Weiterbildung von Assistenzärztinnen und -ärzten wird nämlich sehr wohl subventioniert – auch in den Bereichen Psychiatrie und Psychotherapie.

Dieser ungleichen Behandlung fehle es an jeglicher Rechtfertigung. Besonders, da die psychologische Psychotherapie seit Sommer 2022 von der obligatorischen Krankenversicherung gedeckt wird.

*Name von der Redaktion geändert

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