Milo Rau: Theater in der Schweiz «hängen etwas hinterher»
Das Wichtigste in Kürze
- Das Schauspielhaus Zürich steht vor Veränderungen.
- Milo Rau sieht das gelassen: Die Schweiz hänge einfach etwas hinterher.
- Den Publikumsschwund darauf zurückzuführen, sei absurd.
Der Regisseur und Autor Milo Rau steht dem Aufheben um das Schauspielhaus Zürich gelassen gegenüber: «Das Schauspielhaus in Zürich versucht gerade, das eingleisige Literaturtheater zu überwinden, gemeinsam mit einem diversen Ensemble.» Das sei eine Umformung. Wie sie etwa in Gent, wo er als künstlerischer Leiter eines Stadttheaters arbeitet, vor zehn, fünfzehn Jahren stattgefunden habe.
«Bei den deutschen und schweizerischen Theatern handelt es sich im Vergleich zu den flämischen Häusern um schwerfällige Tanker.» Das sagte Milo Rau in einem Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung». «Die Schweiz hängt einfach etwas hinterher, das ist ja keine neue Tatsache.»
Die experimentierfreudige Intendanz in Zürich geniesse in der Theaterszene einen exzellenten Ruf. Den Publikumsschwund auf sie zurückzuführen, sei absurd. Der Rückgang betreffe alle deutschsprachigen Theater und verlange nach einem Übergang von einem Theatermodell zum anderen, so Rau. Das berge auch Konflikte.
«Das herkömmliche Publikum entsprach nur noch zu etwa zehn bis fünfzehn Prozent der Bevölkerung. Hätten wir nicht reagiert, dann hätten wir in zehn, zwanzig Jahren nicht ein paar Prozent, sondern das komplette Publikum verloren.» Es gelte, jüngere Menschen hineinzuholen, worunter viele einen Migrationshintergrund hätten.
Milo Rau: Theater hat den Auftrag vorwärtszudrängen
Gegen konservative Stücke hätte Rau nichts. «Das Problem ist nur: Wo sind denn diese konservativen Autoren? Wo sind die Balzacs, die Célines des 21. Jahrhunderts?»
Die Theaterszene sei zudem schon immer eher liberal und links gewesen, für Konservatives gebe es Museen und die Oper. «Das Theater aber hat den Auftrag, vorwärtszudrängen», sagte Rau.
Dazu komme, dass Theaterstücke schon seit Jahrtausenden immer wieder neu inszeniert worden seien. «Man muss die Stücke mit neuen Inhalten füllen», so Rau. «Würde man »Wilhelm Tell« so spielen, wie ihn Schiller geschrieben hat, würde er sieben Stunden dauern. Das Publikum würde die Abonnements nicht kündigen, sondern verbrennen.»