Nach dem Lockdown sind alle Scham-Grenzen gefallen!

Im Zuge der Rassismus-Debatte wird massiv beschimpft und bedroht. Erschreckend: Das Corona-Frust-Ventil ist sehr weit offen!

Proteste gegen Rassismus - Zürich
Menschen demonstrieren gegen Rassismus bei einer Kundgebung der «Black Lives Matter»-Bewegung in Zürich. - dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Mit der Rassismus-Debatte nehmen Beleidigungen und Morddrohungen massiv zu.
  • Diskussionen im normalen Rahmen können kaum mehr geführt werden.
  • Das Frust-Ventil nach dem Lockdown habe sich geöffnet, erklärt Politologe Mark Balsiger.

Mimi Jäger (37) sitzt am Samstag nichtsahnend mit Freund Rafael Beutl (34) im Auto in Richtung Zürich. Sie will einen Kafi trinken gehen. Und nimmt wegen Corona das Auto, weil sie schwanger ist.

Die ehemalige Freestylerin und heutige Influencerin hat mit Politik grundsätzlich wenig bis gar nichts am Hut. Sie nervt sich über eine Demo in der Innenstadt, weil die Parkplatzsuche ihren Samstags-Zeitplan über den Haufen wirft.

Dass auf dem Sechseläuten-Platz die «Black Lives Matter»-Demo läuft, weiss Jäger nicht.

Ihrem Ärger macht Jäger in einer Insta-Story Luft. «Jetzt habt ihr aber genug demonstriert», findet Mimi. Und sie kritisiert offen die nicht eingehaltenen Corona-Schutzmassnahmen.

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Mirjam Jäger regt sich über die Demonstranten auf. - Instagram/mirjamjaeger

Diesen Insta-Post würde Jäger heute nicht nochmals machen. Kein Wunder. Denn seither hat die Schwangere keine ruhige Minute mehr!

Sie kriegt von Linksradikalen über hundert Drohungen (bis und mit «Abstechen») und wird als Rassistin hingestellt. Zudem distanzieren sich in der Hektik Arbeitgeber, sie verliert sogar Aufträge. Angehört wird sie nicht.

Was hat Mimi getan? Sie hat sich über eine Demo aufgeregt, die sie gar nicht gekannt hat. Rassistin ist sie nicht.

Morddrohungen wegen Absage an SRF-Sendung

Sogar Morddrohungen erhält Anja G. (27). Sie will ihren vollen Namen aus Angst vor weiteren Angriffen nicht mehr in den Medien lesen.

Eigentlich wäre Anja G. am kommenden Donnerstag an eine Rassismus-Debatte von Radio SRF eingeladen worden. Ihre Lust auf die Sendung «Forum» nimmt aber massiv ab, als bekannt wird, dass auch SVP-Hardliner Roger Köppel (55) als Gast teilnimmt.

Anja G. wünscht sich eine sachliche Diskussion, was aus ihrer Sicht mit Köppel nicht möglich ist. Und sagt schweren Herzens ab.

Seither bleibt auch bei ihr kein Stein auf dem anderen. Aus rechtsradikalen Kreisen wird sie bedroht. Sogar mit dem Tod. Sie kriegt Hass-Mails, wird beleidigt und taucht jetzt aus Angst ein paar Tage unter.

Was hat Anja G. getan? Die 27-Jährige verzichtet auf eine SRF-Einladung und auf eine polarisierende Debatte mit Köppel.

Politologe Balsiger: «Es hat sich ein Ventil geöffnet»

Sind nach dem Lockdown alle Scham-Grenzen gefallen? Für Politikberater Mark Balsiger (53) ist klar, dass der Lockdown für die Heftigkeit der Debatten eine grosse Rolle spielt. «Es hat sich ein Ventil geöffnet. Während dreier Monate drehte sich alles um die Corona-Pandemie», sagt Balsiger zu Nau.ch.

Mit der schrittweisen Öffnung erhalten andere Themen wieder Relevanz. Balsiger: «Mit der Rassismus-Debatte hat sich ein Thema durchgesetzt, bei dem alle mitreden können.»

Vermischt mit der Frustration, die sich während der Lockdown-Phase aufbaute, brauchte es offenbar eine Reaktion. «Viele Leute müssen Dampf ablassen, und das geht nirgendwo einfacher als im Netz.» Sei es in Form der Verurteilung des Mohrenkopf-Namens, oder eben dessen Rechtfertigung.

Mark Balsiger Tamy Glauser
Der Politologe Mark Balsiger. - zVg

«Es haben sich zwei Lager gebildet, die sich unversöhnlich gegenüberstehen.» Diese ballern nun im Schützengraben gegeneinander, so Balsiger. «Ich sehe wenig Bereitschaft, die Emotionen zu kontrollieren und einfach einmal zuzuhören.»

Umso bedauerlicher findet es Balsiger, dass sich niemand der Diskussion mit Roger Köppel stellt. «Es ist eine verpasste Chance», sagt der Politologe.

Hass-Kommentare wegen Mohrenköpfen

Der Corona-Frust muss auch bei den Mohrenköpfen raus. Ist es so schwierig, in der Sprache von «Mohrenkopf» auf beispielsweise «Schaumkuss» zu wechseln?, fragt der ehemalige SRF-Fussballkommentar Dani Wyler (68).

Wyler gibt die Antwort gleich selbst. «Seien wir ehrlich: Es ist doch nur eine Frage des Willens!»

Dani Wyler
Dani Wyler schrieb einen Gastkommentar auf Nau.ch. - Keystone, zVg

Wyler appelliert in seinem Gastbeitrag auf Nau.ch lediglich an Anstand und Respekt gegenüber Mitmenschen.

Und was passiert? Nur ein Drittel der Nau.ch-Lesermeinungen können veröffentlicht werden. Der Rest wird kopfschüttelnd vorher gelöscht.

Die gelöschten Kommentare sind rassistisch. Es geht um einen Mohrenkopf.

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