«Nachbar:innen»: Coop gendert jetzt sogar schon Rüebli und Salat
Coop macht Ernst – auch das Gemüse soll sich in seiner Geschlechtsidentität verstanden fühlen. Eine Sprachexpertin ordnet ein.
Das Wichtigste in Kürze
- Coop setzt konsequent auf geschlechtergerechte Sprache.
- In der aktuellen Coop-Zeitung spricht das Unternehmen bei Gemüse von «Nachbar:innen».
- Eine Sprachexpertin sagt: «Es ist grammatikalisch nicht erforderlich hier zu gendern.»
Coop setzt – wie andere Mitbewerber auch – konsequent auf eine gendergerechte Sprache. Coop setzt dabei auf neutrale Formulierungen oder den Gender-Doppelpunkt. «Wir beziehen neben dem weiblichen und männlichen Geschlecht auch andere Geschlechtsidentitäten ein», erklärte das Unternehmen gegenüber Nau.ch.
Jetzt die Überraschung: Selbst vor Gemüse macht das Gendern keinen Halt!
In der aktuellen Coop-Zeitung gibt der Grossverteiler Tipps zur Lagerung von Rüebli. Demnach sollten die orangen Vitaminbomben für eine längere Haltbarkeit nicht in der Nähe von Äpfeln, Bananen und Birnen aufbewahrt werden. Dazu heisst es weiter: «Gute Nachbar:innen für Rüebli hingegen sind Salate.»
Klingt kurios? Das findet auch Nau.ch-Leser Andreas Kindlimann. Er kritisiert das «Gemüse-Gender-Gaga», wie er es nennt.
Seine Meinung: «Ich denke, dass man die gute Sache gefährdet, wenn man sie übertreibt.» Zudem könne es Kindlimann nicht verstehen, wie man ein «wunderschön fotografiertes Rüebli» mit der Geschlechtsidentität des Menschen verbinden könne.
Expertin: «Gendern ist hier grammatikalisch nicht erforderlich»
Auch eine Expertin ordnet das Gemüse-Gegendere ein.
Christiane Hohenstein ist Professorin für Interkulturalität und Sprachdiversität an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Sie hält das gegenderte Gemüse für ein «interessantes Beispiel für eine gendergerechte Formulierung».
Weil «Salat» grammatikalisch männlich sei, würde man hier den Doppelpunkt «nicht erwarten oder für notwendig halten», erklärt Hohenstein gegenüber Nau.ch – und stellt klar: «Es ist grammatikalisch nicht erforderlich hier zu gendern.»
Coop gibt zu: «Haben es etwas zu gut gemeint»
Entsprechende Formulierungen könnten verschiedene Gründe haben, vermutet die Expertin. «Vielleicht ist den Verantwortlichen wichtig, mit ihrem Text ein Bewusstsein für gendergerechte Formulierungen zu wecken oder zu schärfen. Das kann auch durch nicht erwartungsgemässe oder grammatisch falsche Formulierungen geschehen.»
Tatsächlich?
Auf Anfrage von Nau.ch klärt Coop auf. «In diesem Fall haben wir es etwas zu gut gemeint», gibt Sprecherin Sina Gebel zu.
Denn: Offenbar gibt es bei der Coop-Zeitung ein Gender-Lektorat!
«Bei der Überprüfung haben wir uns offenbar zu stark an das Substantiv Nachbar gehalten. Coop wendet genderneutrale Formulierungen oder den Doppelpunkt grundsätzlich bei Personen an», so Gebel.
Werden in Zukunft auch Objekte gegendert?
Ob sich die inklusive Sprache künftig dennoch auch auf Objekte ausgeweitet wird, kann Expertin Christiane Hohenstein nicht abschätzen.
«Wenn, wie im Beispiel, eine Personenbezeichnung metaphorisch verwendet wird, bleibt der Ausdruck grundsätzlich auf Menschen bezogen. Das Objekt wird personifiziert oder vermenschlicht», sagt sie.
Die Beurteilung, ob es deshalb sinnvoll sei, Gegenstände zu gendern, sei von Person zu Person unterschiedlich. «Das ist der Grund, warum jede Kommunikation die Möglichkeit für Missverständnis birgt», so die Linguistin.
Ihr Appell bezüglich der geschlechtergerechten Sprache lautet daher: «Ich wünsche mir sprachliche Kreativität und einen bewussten Umgang mit unseren sprachlichen Möglichkeiten.»
Korrigendum: In einer früheren Version wurde Frau Hohenstein fälschlicherweise mit der Aussage zitiert, es sei grammatikalisch nicht erforderlich zu gendern. Das bezieht sich allerdings nur auf das hier diskutierte Beispiel, Anmerkung der Redaktion.