Pistenchef nach Ski-Unfall-Tod von Fabienne B.* (†13) vor Gericht
Vor fünf Jahren starb Fabienne B.* (13) nach einem Skiunfall in Adelboden. Jetzt steht der Pistenchef der Bergbahnen vor dem Regionalgericht Berner Oberland.
Das Wichtigste in Kürze
- Fabienne B.* (13) fiel 2015 beim Skifahren kopfüber in einen Bach und ertrank.
- Der Pistenwart von Adelboden BE steht seit heute vor Gericht.
- Die Staatsanwältin wirft ihm fahrlässige Tötung vor.
Vor fünf Jahren starb Fabienne B.* (13) nach einem Skiunfall in Adelboden BE. Jetzt steht der Pistenchef der Bergbahnen Adelboden vor dem Regionalgericht Berner Oberland in Thun.
Die Berner Staatsanwältin wirft dem Pistenchef (53) fahrlässige Tötung vor. Fabienne B.* wohnte im Kanton Schwyz. Die Familie weilte oft in Adelboden, da sie dort eine Ferienwohnung besass. Fabienne B. war am Unfalltag am 26. Februar 2015 Teil einer Skischulklasse. Diese war auf der Piste Luegli-Geils oberhalb von Adelboden unterwegs.
Anklage: Graben nicht sichtbar
Als das Mädchen als zweithinterste Fahrerin der Gruppe über einen kleinen Hügel fuhr, kam es leicht von der Piste ab und stürzte kopfüber in einen 2,7 Meter tiefen Graben eines Baches. Dieser quer zur Piste verlaufende Graben sei für das Mädchen nicht sichtbar gewesen, heisst es in der Anklageschrift.
Der Graben war zwar längs der Piste mit Wimpelseilen markiert gewesen, welche an drei gelb-schwarzen Markierungsstangen fixiert waren. Der angeklagte Pistenchef hätte aber die vom Graben ausgehende Gefahr entweder durch Zuschütten wirksam beseitigen müssen, heisst es in der Anklage. Oder er hätte quer zur Piste mit Stangen und Seilen den Graben gut sichtbar machen müssen.
Fabienne B. stürzte 1,2 Meter vom Pistenrand entfernt. Sie erlitt starke innere Blutungen - vermutlich, weil sie auf den Skistock fiel. Zudem blieb sie mit dem Kopf und einem grossen Teil des Körpers unter dem Eiswasser des Grabens stecken, bis sie geborgen wurde. Noch am gleichen Abend verstarb das Mädchen im Berner Inselspital an einem Multiorganversagen.
Pistenchef: es war übersichtliche Stelle
Der angeklagte Pistenchef (53) arbeitet seit 31 Jahren für die Bergbahnen Adelboden AG. Er verneint, dass der Graben ungenügend gesichert war: «Es ist eine langsame und übersichtliche Stelle», antwortet der Adelbodner auf Fragen der Richterin. Die Markierungen seien korrekt gewesen.
Die Richterin fragt ihn nach seinen Gefühlen wegen des tödlichen Unfalls: «Man war natürlich betroffen. Ich bin auch an die Beerdigung gegangen.» So ein Unglück sei natürlich immer präsent: «Man versucht, mit bestem Wissen und Gewissen die Arbeit zu machen.»
Anwalt fordert Genugtuung und Schadensersatz von mehr als 100'000 Franken
«Der Graben war einfach nicht zu erkennen, er war unsichtbar», sagt die Staatsanwältin. «Der Graben war deshalb eine eigentliche Falle.» Er sei nicht abgesperrt gewesen. Der Beschuldigte sei verantwortlich für die Pistensicherung. «Die Zuschüttung des Grabens war zumutbar und machbar», sagt die Anklägerin in ihrem Plädoyer.
Der Anwalt der Familie des Mädchens fordert für die Hinterbliebenen Genugtuung und Schadensersatz von mehr als 100'000 Franken. «Die Sorgfaltspflicht wurde verletzt. Der Bergbach war längs, aber nicht quer gesichert.» Der kleine Bergbach sei durch eine Schneedecke getarnt und mit einem Meter Nassschnee gefüllt gewesen. «Deshalb war die Rettung auch so schwierig. Eine Person allein konnte das Mädchen nicht retten.» Fabienne B. sei ein überaus gewissenhaftes Mädchen gewesen.
Der Verteidiger fordert einen Freispruch und die Abweisung der Zivilklagen der Familie von Fabienne B. Im Fall eines Freispruchs will er für den Angeklagten eine Genugtuung. «Fabienne B. fuhr neben der Piste», sagt der Verteidiger. «Sie fuhr auf einen kleinen Nebenweg.» Der Graben sei korrekt gesichert gewesen. «Die Pistenbenützer konnten erkennen, dass sie vor der Warnstange wieder zurück auf die Piste mussten.»
Familie will Gerechtigkeit
Die Eltern des Mädchens, ihre beiden jüngeren Schwestern sowie die Grosseltern sind Privatkläger. Die Mutter von Fabienne B. schildert eindrücklich, was der Tod für die Hinterbliebenen bedeutet. «Wir haben lebenslänglich als Familie. Wir wollen einfach nur Gerechtigkeit. Es ist wichtig für uns, dass durch Gerechtigkeit die richtigen Menschen bestraft werden.»
Ihre Tochter sei ab dem Alter von drei Jahren immer in die Skischule in Adelboden gegangen. «Sie fuhr immer anständig und war eine sehr gute Skifahrerin.»
Enttäuscht über Einheimische
Die Mutter beschuldigte den Angeklagten, zu lügen. «Man kann Fehler machen, aber man soll auch dazu stehen.» Sie sei auch von der einheimischen Bevölkerung in Adeloboden sehr enttäuscht: «Die Schuld wird meinem Kind gegeben. Ich bin sehr enttäuscht, dass die Einheimischen so verlogen sind.»
Die Familie verkaufte noch im Unfalljahr ihre Ferienwohnung in Adelboden. «Wir sind nie mehr Skifahren gegangen», sagt die Mutter.
Auch der Vater des Mädchens spricht klare Worte: «Unsere Tochter fiel kopfüber in einen tiefverschneiten Bach, wo sie elendiglich ertrank. Uns geht es darum, dass die Verantwortlichen in den Skigebieten wachgerüttelt werden. Die Verantwortung muss von denjenigen, die für die Sicherheit der Piste verantwortlich sind, wahrgenommen werden.»
Skifahren heisse Verantwortung übernehmen. «Meine Tochter fuhr sicher und verantwortungsbewusst. Es geht uns um die Wahrnehmung der Verantwortung. Diese muss von den Verantwortlichen für die Sicherheit auf der Piste wahrgenommen werden.»
Der Vater spielt ein Werbevideo der Skiregion Adelboden Lenk aus dem Unfalljahr auf seinem iPad vor. «Wir machen alles für unsere Gäste», singt darin eine Ländlergruppe. «Das Werbevideo steht in krassem Gegensatz zu dem, was mit unserer Tochter passierte», sagt der Vater.
Auch gegen den Skilehrer lief nach dem Unfall ein Strafverfahren. Die Staatsanwaltschaft stellte dieses aber ein. Der Entscheid wurde vom bernischen Obergericht und vom Bundesgericht gestützt. Die Eltern des Mädchens hatten Beschwerde gegen die Einstellung eingereicht.
Die Staatsanwältin fordert eine bedingte Geldstrafe von 15 Tagessätzen à 130 Franken (1950 Franken). Die Probezeit beträgt zwei Jahre.
Das Urteil wird morgen Mittwoch verkündet.
*Name geändert