Polizei fahndet immer öfter mit unverpixelten Täter-Fotos
In der Schweiz steigt die Zahl an Gewaltdelikten an – und damit auch die Methode der Öffentlichkeitsfahndung. Heisst: Täter werden öfter unverpixelt gezeigt.
Das Wichtigste in Kürze
- In der Schweiz steigt die Zahl an mittleren und schweren Gewaltdelikten an.
- Daher wird auch immer häufiger mit unverpixelten Fotos nach Tatverdächtigen gefahndet.
- Diese Methode bringt Erfolg, ist aber ethisch nicht unumstritten.
Ein Schläger im März in Bern. Ein Tankstellen-Räuber in Nussbaumen AG im April. Ein Prügel-Trio in Dietlikon ZH im September. Ein Bankräuber in Sursee LU im Oktober: Sie alle wurden von der jeweiligen Strafverfolgungsbehörde zur öffentlichen Fahndung ausgeschrieben.
Heisst: Die Polizeien haben unverpixelte Fotos der Tatverdächtigen veröffentlicht. Die Zunahme dieser Fahndungsmethode mit unverpixelten Fotos der mutmasslichen Täter fällt auf. Und sie kommt nicht überraschend.
Gewaltdelikte steigen an
Eine Öffentlichkeitsfahndung kann nur bei mittleren und schweren Gewaltdelikten angewendet werden. «Und diese Delikte steigen in den vergangenen Jahren kontinuierlich an», sagt Adrian Schuler.
Schuler ist Mediensprecher der Oberstaatsanwaltschaft des Kanton Aargau und war früher selber Polizist. Er sagt: «Eine Öffentlichkeitsfahndung ist immer das letzte Mittel. Weil sie enorm in die Persönlichkeitsrechte der tatverdächtigen Person eingreift.»
Daher dürfe man erst dann mit unverpixelten Fotos auf Tätersuche gehen, wenn alle anderen Ermittlungsmethoden nicht zum Erfolg geführt hätten. «Und die gesuchte Person muss unter dringendem Tatverdacht stehen», erklärt Schuler weiter.
Grundsätzlich arbeitet man nach einem Dreistufen-Modell: Zuerst wird eine Woche ohne Foto gefahndet. Danach eine Woche mit verpixelten Bildern. Erst wenn auch diese Fahndung erfolglos blieb, kommen unverpixelte Fotos zum Einsatz.
Öffentlichkeitsfahndung sorgt für enormen Aufwand
Diese Öffentlichkeitsfahndung wird immer von der Staatsanwaltschaft angeordnet. «Und sie kommt eher selten vor. Im Kanton Aargau in meiner Karriere erst zweimal», erinnert sich Schuler.
Auch, weil eine Öffentlichkeitsfahndung für die Polizei beziehungsweise die Staatsanwaltschaft einen enormen Aufwand bedeutet.
«Es muss eine Hotline eingerichtet werden. Sämtliche Hinweise sollten überprüft werden, die Medienstelle muss enorm eng mit den aktiven Ermittlern zusammenarbeiten», fasst Schuler zusammen.
Soweit also zum rechtlichen und polizeitaktischen Hintergrund der Öffentlichkeitsfahndung. Wie aber sieht es mit der ethischen Betrachtungsweise dieser Ermittlungsmethode aus?
Schliesslich wird eine tatverdächtige Person mit einem unverpixelten Foto quasi an den Pranger gestellt.
Kriminologe: Sicherheitsgefühl sinkt wegen Täter-Fotos
«Wünschenswert wäre zweifellos, dass dieses Instrument der Fahndung mit unverpixelten Bildern nicht zum Einsatz kommt», sagt Dirk Baier.
Der Kriminologe von der Universität Zürich weist zusätzlich auf einen weiteren Umstand hin: «Eine solche Fahndung hat sicherlich auch den Nebeneffekt, dass das Sicherheitsgefühl sinkt.»
Denn: Damit wird die Information vermittelt, dass sich Straftäter weiterhin unerkannt in der Öffentlichkeit bewegen. Und dieser Umstand wiederum lasse das Vertrauen in die Polizei etwas sinken.
Aber: «Trotz dieser vielfältigen Nachteile ist es im Einzelfall gerechtfertigt, diesen Schritt zu gehen», sagt Baier. Natürlich deshalb, weil die Aufklärung eines schweren Verbrechens Priorität haben müsse.
«Scheint mir ethisch vertretbar»
Baier schlussfolgert daher: «Wenn dieses Instrument sehr überlegt und regelgeleitet eingesetzt wird, scheint es mir ethisch vertretbar.»
Denn die Öffentlichkeitsfahndung bringt Erfolg: «In den meisten Fällen führt sie zum gewünschten Resultat», sagt Schuler. Und dürfte daher unter den erwähnten Voraussetzungen weiterhin als letztes Mittel angewendet werden.
Setzt sich zudem der Trend zur Zunahme von mittleren und schweren Gewaltdelikten fort, dürfte immer öfter öffentlich gefahndet werden. Und die Diskussion um diese Ermittlungsmethode noch öfter geführt.