Profitiert «Carlos» wirklich von einer Kuschel-Justiz?

Chiara Schlenz
Chiara Schlenz

Zürich,

Die Reaktionen zum Urteil für «Carlos» fallen deutlich aus: Viele sehen darin «Kuschel-Justiz». Doch einfach wird es für den 24-Jährigen keinesfalls.

Fall Carlos
«Carlos» steht heute Mittwoch wieder vor Gericht. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Im Fall «Carlos» wurde am Mittwoch das Urteil gesprochen.
  • Der 24-Jährige wurde zu knapp 5 Jahren Haft und einer stationären Massnahme verurteilt.
  • Der Verteidiger des Sträflings will das Urteil weiter ans Obergericht ziehen.

Nun ist es klar: Brian, alias «Carlos», wird vom Gericht zu vier Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Die geforderte eigentliche Haftstrafe wird jedoch zugunsten einer stationären Massnahme aufgeschoben.

Heisst: Während er in Haft ist, wird er gleichzeitig therapiert. Dafür könnte Carlos auch in eine psychiatrische Klinik gebracht werden.

Doch das Urteil löst eine heftige Debatte aus. Nau-Leser beklagen sich über die «Kuscheljustiz» oder glauben, «ein Verbrechen in der Schweiz lohnt sich allemal». Doch so schnell ist diese Verwahrung nicht vorbei.

Was ist die «kleine Verwahrung»?

Die stationäre Massnahme ist im Volksmund vor allem unter dem Namen «kleine Verwahrung» bekannt. Diese Art der Verwahrung ist gemäss des Strafgesetzbuches den Tätern vorbehalten, die Verbrechen im Zusammenhang mit einer psychischen Störung begingen. Der Freiheitsentzug beträgt maximal fünf Jahre, in welchen der Täter therapiert werden sollte.

Carlos
Brian wurde zu knapp fünf Jahren Haft und der kleinen Verwahrung verurteilt. - Keystone

Jedoch können die Behörden diese Massnahme nach den abgelaufenen fünf Jahren verlängern. Dies, wenn die Therapie nicht den gewünschten Erfolg verzeichnen kann.

Die «kleine Verwahrung» wird in solchen Fällen so lange verlängert, bis der Verurteilte als therapiert eingestuft wird. Dies kann im Extremfall bis ans Lebensende des Täters so weitergehen.

Ausnahme wird zur Regel

Die Zahl der Straftäter mit dem Urteil «kleine Verwahrung» steigt kontinuierlich. Wo 2009 nur rund 346 Personen dieses Urteil erhielten, waren es laut der KKJPD 2015 schon 864.

2017 stieg die Zahl auf 904 Personen. Die Ausnahme-Massnahme wird also schon beinahe zur Norm bei psychisch belasteten Straftätern.

Eine Studie der Universität Bern zeigt auf, dass die Verhältnismässigkeit der Massnahme oft fraglich ist. Hierfür wurden 75 Fälle der «kleinen Verwahrung» genauer unter die Lupe genommen. In der Studie wird aufgezeigt, dass die Dauer der Massnahme oft das eigentliche Strafmass weit überschreitet.

Carlos
Das Urteil wurde gestern Mittwoch verkündet. - Keystone

Ausserdem warten die Täter meist monate- oder sogar jahrelang auf den versprochenen Therapiebeginn.

Man kann also davon ausgehen, dass auch «Carlos» länger als seine eigentliche Strafe verwahrt wird. Auch ist in seinem Fall eine therapeutische Behandlung so schnell wie möglich notwendig. In seinem Fall wird es wohl zu weiteren «kleinen Verwahrungen» in der Zukunft kommen.

Verwahrungen häufen sich

Ein Beispiel für eine weitere «kleine Verwahrung» ist der Fall des 2004 inhaftierten Mischa Leu. Laut einem Bericht des «Beobachters» aus dem Jahr 2017 wurde auch er zu einer stationären Massnahme verurteilt. Dies geschah 2008. 2016 hätte diese offiziell beendet sein sollen, doch sie wurde immer wieder verlängert.

Per 2017 waren zudem 143 Personen ordentlich verwahrt. Diese Art der Verwahrung wird im Gegensatz zu der «kleinen Verwahrung» erst nach Vollzug der Haftstrafe abgesessen. Zu den Tätern, welche ordentlich verwahrt werden, gehört auch der Vierfachmörder von Rupperswil.

Vierfachmörder von Rupperswil
Vierfachmörder Thomas N. (l) bei der Urteilsverkündung zum Vierfachmord von Rupperswil im Bezirksgericht Lenzburg in Schafisheim (AG). - Keystone

Eine sogenannte lebenslängliche Verwahrung, welche höchst selten durchgesetzt wird, erhielt beispielsweise die als «Parkhaus-Mörderin» bekannte Mehrfachmörderin. Sie wurde 2001 zu dieser Art Inhaftierung verurteilt und beantragt immer wieder eine kleine Verwahrung.

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Interview mit Ulrich Krättli, Staatsanwalt zum Fall Carlos. - Nau

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