Schub für Impfstoffforschung erwartet
Üblicherweise die Impfstoffzulassung bis zu 20 Jahren – dann kam Covid-19. Innerhalb eines Jahres wurde das Vakzin entwickelt und zugelassen.
Das Wichtigste in Kürze
- Experten rechnen mit einer Beflügelung der Impfstoff-Forschung.
- Grund dafür sind die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie.
- Die schnellste Impfstoffzulassung vor Covid-19 lag bei vier Jahren.
Pocken sind dank Impfungen ausgerottet, Krankheiten wie Polio und Diphtherie nahezu vollständig zurückgedrängt. Weitere grosse Durchbrüche gab es seitdem aber nur wenige. Dann kam Corona. In nur einem Jahr wurden Vakzine gegen Covid-19 entwickelt und zugelassen – ein Rekord.
Diese Erfahrung in der Pandemie wird die teure und riskante Impfstoff-Forschung generell beflügeln, sind sich Experten sicher. «Die Impfstoffentwicklung hat eine Renaissance erlebt im letzten Jahr, das geht weit über Covid hinaus», sagt der Life-Science- und Transaktionsexperte Alexander Nuyken von der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY.
Zum einen ist dank neuer Technologien wie der Boten-RNA (mRNA) eine deutlich schnellere und günstigere Entwicklung als bisher möglich. Zum anderen steigt die Dringlichkeit, weil sich Krankheiten auch wegen des Klimawandels weiter ausbreiten.
Erfolg nicht garantiert
Die Entwicklung von Impfstoffen ist teuer und der Erfolg keineswegs garantiert. Vor Corona galten nach Angaben des deutschen Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) zehn bis zwanzig Jahre als typische Zeitspanne bis zur ersten Zulassung. Den Geschwindigkeitsrekord hielt bisher mit vier Jahren ein Mumps-Impfstoff von Merck & Co Ende der 1960er Jahre.
Projekte zur Verbesserung von Impfstoffen – etwa Vierfach – statt Dreifach-Grippeimpfstoffe – seien sehr oft erfolgreich, sagt vfa-Forschungssprecher Rolf Hömke. Projekte zu Entwicklung eines ersten, gut wirksamen Impfstoffs gegen eine bestimmte Krankheit hätten dagegen eine sehr geringe Erfolgsquote. So gibt es trotz etlicher Versuche nach wie vor kein Vakzin gegen HIV- und Hepatitis-C-Infektionen oder auch Malaria.
Zu der überschaubaren Zahl an Erfolgen in den vergangenen Jahren zählen die Zulassung der HPV-Impfung 2006, der erste Dengue-Impfstoff 2018 und der erste Ebola-Impfstoff 2019.
Ein Milliardengeschäft
Für die weltweit vier grössten Vakzinhersteller GlaxoSmithKline, Merck & Co, Pfizer und Sanofi ist die Herstellung von Impfstoffen ein Milliardengeschäft. Der Pneumokokkenimpfstoff Prevnar von Pfizer, vor Corona das umsatzstärkste Vakzin weltweit, brachte dem US-Konzern im vergangenen Jahr alleine einen Umsatz von 5,9 Milliarden Dollar ein – mehr als jedes andere seiner Produkte.
EY-Experte Nuyken erwartet, dass die Impfstoff-Entwicklung mit den Erfolgen von Biontech oder auch Moderna attraktiver wird. Deren Covid-19-Vakzine beruhen auf dem neuen Ansatz der Boten-RNA (mRNA), die den menschlichen Zellen die Information zur Bekämpfung von Krankheitserregern vermittelt.
mRNA-basierter Impfstoffe sind effektiver
Der Biontech-Impfstoff war das erste mRNA-basierte medizinische Produkt, das je zugelassen wurde. Anders als bei konventionellen Impfstoffen entfällt die oft langwierige Herstellung abgeschwächter oder abgetöteter Erreger in Zellkulturen oder im Hühnerei. Ein mRNA-basierter Impfstoff ist daher schneller herzustellen als herkömmliche Vakzine und lässt sich bei Bedarf relativ rasch anpassen, da nur der Bauplan produziert werden muss, nicht das Antigen selbst.
Die Anpassungsgeschwindigkeit, die diese Technologie auszeichnet, dürfte sie zum Treiber für weitere Entwicklungen machen, sagt etwa Renee Gallo-Daniel, Präsidentin des Österreichischen Verbands der Impfstoffhersteller und Koordinatorin für die nationalen Interessensvertretungen beim Dachverband Vaccines Europe: «Wir können von den neuen Technologien lernen, es wird in der Zukunft weitere neue Impfstoffe geben.»
Aber auch andere Technologien wie DNA-Vakzine dürften künftig vermehrt genutzt werden, wenn sie sich bei Covid-Impfstoffen jetzt als sicher und wirksam erweisen.
Klimawandel, Globalisierung und Mobilität sorgen für Virenverbreitung
Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnte bereits davor, dass Corona nicht die letzte Pandemie sein wird. «Im Moment haben die Krankheitserreger die Oberhand, sie treten häufiger und oft lautlos auf einem Planeten auf, der aus dem Gleichgewicht geraten ist», sagt WHO-Notfalldirektor Mike Ryan.
Neben der Globalisierung und einer höheren Mobilität trägt dazu zunehmend auch der Klimawandel bei. «Durch den Klimawandel kommen Krankheiten wie das West-Nil-Fieber auch zu uns. Das sind Probleme, die uns in den nächsten Jahren zunehmend beschäftigen werden», sagt Sebastian Ulbert, Abteilungsleiter Impfstoffe und Infektionsmodelle am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie. 2019 wurden in Deutschland erste durch Mücken übertragene Fälle von West-Nil-Fieber bekannt. In der Schweiz wurden laut BAG-Webseite bisher keine Übertragungen festgestellt. Gegen das Virus gibt es keine Impfung.
Ob es künftig aber mehr neue Impfstoffe gegen solche Krankheiten geben wird, hängt stark von der Forschung und auch deren Förderung ab, wie Ulbert zu Bedenken gibt. «Dabei ist es vor allem Organisationen wie der Bill & Melinda Gates Stiftung zu verdanken, dass vernachlässigte Infektionen überhaupt in den Fokus kamen.» Denn im allgemeinen lebt die Impfstoffindustrie von der Masse ihres Geschäftes. «Es gibt nicht umsonst gegen manche Krankheiten keine Impfstoffe.»