Schweiz schafft traumatisierte Asylsuchende aus Psychiatrie aus
Offenbar lassen einige Migrationsämter in der Schweiz psychisch kranke Asylsuchende mit Polizeigewalt aus Kliniken holen. Dann werden sie ausgeschafft.
Das Wichtigste in Kürze
- Migrationsämter schicken Beamte in Psychiatrien und lassen Asylsuchende ausschaffen.
- Diese kämpfen mit psychischen Problemen und werden offenbar dennoch gewaltsam abgeführt.
- Dadurch gerät das Personal in einen Gewissenskonflikt zwischen Betroffenen und dem Recht.
Asylsuchende in der Schweiz haben oft eine lange, nicht selten traumatisierende Reise hinter sich. Einige kommen deshalb zur Behandlung in eine psychiatrische Klinik – teilweise sind sie akut suizidgefährdet.
Das zeigt das Beispiel Asylbewerberin Marie* aus Kongo-Kinshasa. Die Mutter hat versucht, sich das Leben zu nehmen. Jetzt ist ihre Tochter im Heim und sie befindet sich in der psychiatrischen Uniklinik der Stadt Bern. Das berichtet die «NZZ».
Das kantonale Migrationsamt will sie und ihr Kind nach Kroatien ausschaffen. Dort hat die kleine Familie im Oktober 2022 erstmals den Schengenraum betreten.
Und das, obwohl die psychiatrische Universitätsklinik das Risiko einer Ausschaffung als zu hoch beurteilt: Die Mutter sei akut suizidal und somit sei auch das Wohl des Kindes gefährdet.
Migrationsamt klopft «immer häufiger» bei Psychiatrie an
Zahlen dazu, wie häufig solche Entscheide fallen, haben die Migrationsämter nicht, wie die «NZZ» schreibt. Aber Werner Strik, Psychiatrieprofessor und Direktor der Universitären Psychiatrischen Dienste (UPD) in Bern, sagt: «Dass das Migrationsamt bei uns anklopft, weil es Patienten mit Ausschaffungsbescheid von der Polizei abholen lassen will, kommt immer häufiger vor.»
Und auch andere psychiatrische Kliniken kennen das Phänomen. «Damit kommen die meisten psychiatrischen Kliniken in Berührung», sagt Malte Claussen, der Chefarzt am Psychiatriezentrum Münsingen BE.
Psychiatrie-Personal gerät in Gewissenskonflikt
Dadurch gerate das Klinikpersonal laut Strik stets in einen Gewissenskonflikt: Kümmert es sich um das Wohlergehen seiner Patientinnen und Patienten? Oder befolgt es die strengen, rechtlichen Vorschriften?
Die Klinik kooperiert laut Strik nur mit den Behörden, «wenn die Polizei den Namen der Patientin kennt». Denn: «Unsere Patienten haben ein Anrecht auf medizinische Versorgung», bekräftigt der Professor. Auch diejenigen, deren Aufenthaltsstatus nicht geregelt sei.
*Name geändert
***
Brauchen Sie Hilfe?
Sind Sie selbst depressiv oder haben Sie Suizidgedanken? Dann kontaktieren Sie bitte umgehend die Dargebotene Hand (www.143.ch).
Unter der kostenlosen Hotline 143 erhalten Sie anonym und rund um die Uhr Hilfe. Die Berater können Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen. Auch eine Kontaktaufnahme über einen Einzelchat oder anonyme Beratung via E-Mail ist möglich.
Hilfe für Suizidbetroffene: www.trauernetz.ch