Schweizer hamstern Medikamente – und holen sie nicht ab
Viele Schweizer bestellen Medikamente, ohne sie je abzuholen. Ein möglicher Grund: Sie hamstern aus Angst vor Knappheit.
![Medikamentenknappheit](https://c.nau.ch/i/N3AykD/900/medikamentenknappheit.jpg)
Das Wichtigste in Kürze
- Seit Jahren ist die Schweiz von Medikamentenknappheit betroffen.
- Immer mehr Patientinnen und Patienten bestellen nun Medikamente vor, die sie nie abholen.
- Ein Problem für die Apotheken und Arztpraxen. Sie bleiben auf den Arzneimitteln sitzen.
Sie wird in den vergangenen Jahren immer wieder zum Thema: Die Medikamentenknappheit. Nun wirken sich diese Engpässe auch auf das Bestellverhalten aus.
Nau.ch erfährt von einem Insider aus einer Arztpraxis im Kanton Bern: Immer wieder bestellen Menschen dort im grossen Stil Medikamente. Und holen sie dann nie ab.
Kein Einzelfall – das Problem kennt auch der Schweizerische Apothekerverband pharmaSuisse.
«Dass Medikamente bestellt, aber nicht abgeholt werden, passiert», bestätigt Sprecher Gregory Nenniger.
Und auch Yvonne Gilli, Präsidentin der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte, sagt: «Für uns ist es plausibel, dass es solche Fälle gibt.»
Zahlen dazu, wie häufig Bestellungen nicht abgeholt werden, fehlen jedoch. Die Fälle werden dem Apothekerverband nämlich nicht gemeldet.
Apotheken klagen über «zusätzlichen Aufwand»
Klar ist aber: Für die Apotheken ist das Phänomen mühsam.
«Primär bedeutet es einen zusätzlichen Aufwand», sagt Nenniger. «Die Apotheken versuchen in der Regel, die Patientin oder den Patienten zu erreichen.»
Man informiere dann darüber, dass das vorbestellte Medikament da sei. Werde es nicht abgeholt, versuche es eine betroffene Apotheke immer weiter, solange das Medikament nicht abgeholt werde.
Das Mühsame: «Die Kontrolle, welche bestellten Medikamente noch nicht abgeholt worden sind, und die anschliessende Korrespondenz brauchen Zeit.»
Nicht abgeholte Medis müssen weggeworfen werden
Holt die Kundschaft ihre Medikamente nicht ab, frisst das nicht nur Zeit. Es kann auch dazu führen, dass die Pillen, Säfte und Spritzen weggeworfen werden müssen.
Denn: Laut Nenniger ist es nur für kurze Zeit möglich, das entsprechende Medikament an den Grossisten zurückzusenden.
Spitalapotheker Enea Martinelli ergänzt: «Wenn eine Apotheke ein Medikament bestellt, das nicht abgeholt wird, kann sie es innerhalb von zwei Wochen retournieren. Dann kann es noch gebraucht werden.»
![Enea Martinelli](https://c.nau.ch/i/DrAM0l/900/enea-martinelli.jpg)
Verpasse man diese Frist, bleibe man auf dem Medikament sitzen, sagen sowohl Martinelli als auch Nenniger.
Kühlartikel und Betäubungsmittel werden gar nicht zurückgenommen.
In solchen Fällen «müssen die Apotheken darauf hoffen, vorbestellte Medikamente für eine andere Person einsetzen zu können», sagt Nenniger.
Aber: «Das trifft oftmals nicht ein, da bestellte Medikamente häufig eine spezielle Dosis oder Packungsgrösse mit sich bringen. Somit sind die Fälle, in denen die Medikamente nicht retourniert werden können, oft ein Verlustgeschäft für die Apotheken.»
Hamstern Patienten aus Angst vor Knappheit?
Aber warum überhaupt werden Medikamente vorbestellt und dann nicht abgeholt?
Laut Geschäftsführerin Susanne Gedamke berichten Patienten der Schweizerischen Patientenorganisation, «dass ihre Medikamente nicht geliefert werden.»
Wenig überraschend – vergangenen Herbst berichtete der Apothekerverband, es würden 750 verschiedene Packungen Medikamente fehlen.
Gut möglich also, dass aus Angst vor einer Knappheit mehr Medikamente vorbestellt werden als benötigt. Und dass die Patientinnen und Patienten sie dann einfach nicht abholen, wenn sie genesen sind.
Trotz der Hamsterer sehen die Apotheken keinen Grund, strengere Reglementierungen zu fordern.
Stattdessen setzen sie auf andere Lösungen.
Nenniger erzählt: «Es gibt zum Beispiel in vielen Apotheken einen Hauslieferdienst für Patientinnen und Patienten, die Schwierigkeiten haben, ihre Medikamente abzuholen.»
So können die Apothekenteams jedoch «nur marginal beeinflussen», ob vorbestellte Medikamente tatsächlich abgeholt werden.