«Seebahn-Höfe»: Zwei Jahrzehnte Planung für 350 neue Wohnungen
Vor kurzem hat die Stadt den Gestaltungsplan für das Neubauprojekt «Seebahn-Höfe» im Kreis 4 gutgeheissen – nach jahrzehntelanger Verzögerung.
Das Wichtigste in Kürze
- Zürich hat den Gestaltungsplan für das Neubauprojekt «Seebahn-Höfe» im Kreis 4 akzeptiert.
- Dies geschah nach jahrzehntelanger Verzögerung.
- Den Preis dafür wird die künftige Mieterschaft bezahlen müssen.
Ruhig stehen sie da, als könnte sie nichts erschüttern. Dabei ist ihr Ende längst beschlossen. Fast hundert Jahre lang waren sie das Zuhause von Menschen mit kleinem Budget, von Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Studierenden: Die beiden Siedlungen an der Seebahnstrasse im Kreis 4.
Seit 2005 planen die Allgemeine Baugenossenschaft Zürich (ABZ) und die Baugenossenschaft des eidgenössischen Personals (BEP) gemeinsam eine neue Zukunft für ihre Grundstücke zwischen Lochergut und Erismannhof. Bis zu 1000 Personen sollen dereinst in den Neubauten wohnen – 500 mehr als bisher.
Wäre alles nach Plan gelaufen, wären die 350 neuen Wohnungen vor vier Jahren bezugsbereit gewesen. Doch beim Projekt «Seebahn-Höfe» lief so gut wie nichts nach Plan. Fast zwei Jahrzehnte kämpfte sich das Grossprojekt durch die Mühlen der Zürcher Behörden.
Jetzt, endlich, der ersehnte Lichtblick: Ende September hat die Stadt den privaten Gestaltungsplan gutgeheissen. Die ABZ-Präsidentin Natanea Elte spricht in der Medienmitteilung von einem «Meilenstein».
Trotzdem wird es noch dauern, bis die Bagger auffahren können. Sowohl der Kanton als auch das Stadtparlament müssen dem Projekt zustimmen. Frühester Baubeginn: 2026.
Wie zeitgemäss kann ein 20-jähriges Bauvorhaben sein und welche Auswirkungen haben solch langwierige Prozesse?
Denkzettel vom Denkmalschutz
Dass es überhaupt so weit kommen konnte, liegt unter anderem daran, dass die 1930 erbauten Kolonie Seebahn, wie die Siedlungen offiziell heissen, dem Denkmalschutz unterlagen. Zu Beginn beschränkte sich die Herausforderung deshalb darauf, die Stadt davon zu überzeugen, die Siedlungen aus dem Inventar der schützenswerten Bauten zu entlassen. Möglich machte dies der Weg des Gestaltungsplans.
Im Gegenzug musste der Neubau in enger Zusammenarbeit entstehen. In einem Konkurrenzverfahren kürte das Amt für Hochbauten zwei Architekturbüros. Beide haben namhafte Referenzprojekte vorzuweisen – unter anderem die Überbauung Kalkbreite.
Im Jahr 2016 schliesslich fügte sich die Stadt: «Die Neubauten weisen die hohen gestalterischen und architektonischen Qualitäten auf und erfüllen die hohen sozialen und städtebaulichen Auflagen», hiess es in der entsprechenden Medienmitteilung.
Eigentlich hätte von da an alles seinen gewohnten Lauf nehmen können. Wäre da nicht der Zürcher Heimatschutz gewesen. Die massiven Bauten im Sihlfeld sollen vor der Abrissbirne bewahrt werden, forderte dieser und ging juristisch gegen den Entscheid der Stadt vor. Wieder zogen zwei Jahre ins Land, bis das Zürcher Verwaltungsgericht zugunsten der Neubaupläne entschied.
Viel Lärm um nichts?
Doch kaum war diese Hürde überwunden, erreichte bereits die nächste Hiobsbotschaft die Genossenschaften: 2016 hat der Bund seine Lärmschutzverordnung angepasst. Seither muss sichergestellt werden, dass die Grenzwerte hinter jedem Fenster nicht überschritten werden – auch nicht an jenen zur lauten Seebahnstrasse hin. Die Pläne der «Seebahn-Höfe» stammten jedoch aus den Jahren 2014 und 2015.
Die Grundrisse der Neubauten seien in der Zwischenzeit in Bezug auf den Lärmschutz optimiert worden, schreibt der Medienverantwortliche des Projekts, Mike Weibel, auf Anfrage. Zudem würde sich die Lärmbelastung durch die geplante Geschwindigkeitsreduktion auf der Seebahnstrasse von Tempo 50 auf Tempo 30 verringern.
Erst im August dieses Jahres kündigte die Stadt an, das Tempolimit auf der Hauptverkehrsachse ab Sommer 2025 zu reduzieren. Die Verzögerungen scheinen also für einmal positive Auswirkungen auf das Bauprojekt zu haben.
Nichtsdestotrotz werden die Neubauten um einiges teurer werden: Laut Weibel muss alleine die ABZ über 13 Millionen Franken mehr als ursprünglich geplant in die Hand nehmen – zwei Millionen davon für Planungs- und Verfahrenskosten. Hinzu komme, dass die Preise für Baumaterialien in den letzten Jahren stark gestiegen seien. Der finanzielle Mehraufwand aufgrund der Verzögerungen werde auch einen Einfluss auf die Mietpreise haben, so der Mediensprecher. Die Genossenschaft rechne mit einer Verteuerung um 18 bis 20 Prozent gegenüber 2015.
Der Mietzins für eine 4,5-Zimmer-Wohnung in der neuen ABZ-Siedlung wird Weibel zufolge bei 1850 Franken pro Monat liegen. Wie bei Genossenschaften üblich, werden alle Wohnungen zur Kostenmiete vermietet.
Dass die neuen Überbauungen aufgrund der verzögerten Planung nicht mehr zeitgemäss sind, dem widerspricht Weibel: «Architekturprojekte sind bei Genossenschaften auf eine sehr lange Nutzungsdauer angelegt und müssen möglichst gut den künftigen Wohnbedürfnissen Rechnung tragen.» Ausserdem seien Teilaspekte in den letzten Jahren angepasst worden.
Bei der ABZ wird es neu auch 20 Mikro-Wohnungen und elf 6,5- bis 9,5-Zimmer-Wohnungen geben. Und die BEP-Pläne beinhalten mittlerweile auch eine Fassadenbegrünung und eine Verkleinerung der Tiefgarage.
Am Grundsatzentscheid, die bestehenden Bauten abzureissen, werde hingegen nicht mehr gerüttelt. Die Vorteile der Ersatzneubauten seien nach wie vor überzeugend; «sie waren es 2010 und sind es auch heute noch», so Weibel.
Hohes Risiko, massive Kosten
Dass grössere Bauprojekte mehrere Jahrzehnte brauchen, bis sie realisiert werden können, sei nicht selten, sagt der Raumplaner Andreas Rupf von der ETH. Er nennt das Beispiel des neuen Kinderspitals in Zürich. 16 Jahre hat es gedauert, bis das Spital eröffnet werden konnte – und trotzdem werde es heute als innovativ beschrieben. Will heissen: «Ob etwas noch als zeitgemäss empfunden wird oder nicht, hängt davon ab, wie fortschrittlich die Verantwortlichen planen», so Rupf. Ein gutes Projekt bleibe also ein gutes Projekt, auch wenn Jahre vergehen.
Dass heute andere Ansprüche in Bezug auf die Wohnform gelten als 2014, glaubt er nicht. Die meisten Bauherren würden Clusterwohnungen oder Räume mit verschiebbaren Wänden noch immer als Experiment ansehen. «Veränderte Nutzungsbedürfnisse und der Wohnungsmarkt brauchen viel mehr Zeit, bis sie sich etabliert haben», sagt Rupf.
Probleme sieht er anderswo: Denn obwohl der Stadtrat den Gestaltungsplan zu den «Seebahn Höfen» verabschiedet hat, ist das Projekt nicht in trockenen Tüchern. Noch muss es vom Zürcher Parlament abgesegnet werden. Findet das Vorhaben keine Mehrheit, müssen die Bauherr:innen eine weitere Extrarunde drehen.
Dass solche Prozesse zu massiven Verzögerungen eines Bauprojekts führen können, sei fatal. «Je länger etwas dauert, desto teurer wird es», so Rupf. Um dieses Risiko zu vermeiden, würden private Immobilienentwicklerinnen und Immobilienentwickler darauf verzichten, den Weg des Gestaltungsplans zu wählen. Mit den Folgen, dass erhöhte Lebensraumqualitäten, mehr Wohnraum für das Quartier und die Stadt verloren gehen würden.
Genickbruch durch den Gemeinderat
Die Genossenschaften ABZ und BEP bereuen nicht, den Weg des Gestaltungsplans gewählt zu haben, wie Mike Weibel im Namen der «Seebahn-Höfe» schreibt, obwohl dadurch alles länger dauert als geplant. Nicht nur deshalb, weil sich die Ersatzneubauten nur damit umsetzen lassen würden: «Das Planungsinstrument wurde seinerzeit zusammen mit der Stadt gewählt, weil damit eine höhere Ausnützung erreicht werden konnte und die Genossenschaften einen Beitrag an das Drittelsziel der Stadt leisten.»
Ob sie allerdings eine weitere Extrarunde in Kauf nehmen würden, ist fraglich: «Sollte der Gestaltungsplan nicht genehmigt werden, könnten die geplanten Bauvorhaben nicht realisiert werden und die Planung für die Erneuerung der Siedlungen würde auf Feld eins beginnen.» Dann müssten die ABZ und BEP laut Weibel evaluieren, mit welcher Strategie die notwendigen Anpassungen an den Gebäuden umgesetzt werden können.
Dass bei diesem Bauprojekt irgendwas nach Plan läuft, davon scheint man an der Seebahnstrasse weggekommen zu sein. Gut möglich, dass die Kolonien doch noch ihren hundertsten Geburtstag überleben.
***
Hinweis: Dieser Artikel ist zuerst bei «Tsüri.ch» erschienen. Autorin Isabel Brun ist Redaktorin beim Zürcher Stadtmagazin.