Appenzellerland

Senior attackiert, nur einer hilft – sind wir feige geworden?

Nicolas Eggen
Nicolas Eggen

Appenzell,

Ein Rentner wird in einem Appenzeller Zug angegriffen. Nur ein Passagier hilft. Wie steht es um die Zivilcourage in der Schweiz?

Zug der Appenzeller Bahnen
Nur ein Passagier half dem Senioren, der in einem Appenzeller Zug attackiert wurde. (Archivbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • In einem Zug in Appenzell hat ein 31-jähriger Mann einen Senior angegriffen.
  • Nur ein Passagier hilft dem Opfer. Haben wir die Zivilcourage verlernt?
  • «Die Menschen sind nicht einfach feige», sagt ein Experte.

Der Fall sorgte für Schlagzeilen: In einem Zug der Appenzeller Bahnen attackiert ein 31-jähriger Mann einen 71-jährigen Senior. Ein 20-jähriger Passagier schützt den Rentner und stellt sich dem Angreifer in den Weg.

Schockierend: Der junge Passagier ist der einzige, der hilft. Danach sagt er, die anderen Passagiere hätten nur zugeschaut oder auf ihr Handy geblickt.

Wo bleibt die Zivilcourage – sind wir feige geworden?

«Angst» hält viele vom Eingreifen ab

Fabian Ilg von der Schweizerischen Kriminalprävention sagt zu Nau.ch: «Oft kann die Angst vor negativen Konsequenzen ein Faktor sein.»

Das könne Unwissen über die Rechtslage sein, aber auch Angst, ob die eigene Sicherheit gefährdet sei.

Fabian Ilg
Fabian Ilg, Geschäftsführer der Schweizerischen Kriminalprävention, sagt: «Oft kann die Angst vor negativen Konsequenzen ein Faktor sein.» - skpps.ch

In diesem Zusammenhang spricht er vom «Bystander Effekt» (Deutsch: Zuschauereffekt). Der Begriff beschreibt das Phänomen, dass Augenzeugen seltener eingreifen, wenn weitere Zuschauer anwesend sind.

«Jemand anders wird schon helfen», beschreibt es Ilg.

Social Media spielt eine Rolle

Das ist nichts Neues – ein anderer Faktor, der vom Eingreifen abhält, jedoch schon eher: Die sozialen Medien.

Laut Ilg können nämlich auch fehlende soziale Kontakte im öffentlichen Raum zu fehlendem Verantwortungsgefühl führen.

«Die gesellschaftliche Veränderung erklärt sich zu einem Teil mit dem Aufenthalt auf Social-Media.» Soziale Kontakte würden vermehrt im virtuellen Raum stattfinden.

Hättest du dem Senior geholfen?

Auch Kriminologe Dirk Baier sieht technologische Veränderungen als Einflussfaktor, wie er bei Nau.ch erklärt.

«Sicher ist es einfacher geworden, sich einer Situation zu entziehen, indem man Kopfhörer ins Ohr steckt. So kann man sich vom öffentlichen Raum abschotten.»

Grundsätzlich habe aber die Komplexität in der Gesellschaft zugenommen. Das führe dazu, dass Situationen aus Sicht der Menschen nicht immer eindeutig seien.

«Handelt es sich wirklich um eine Gefahrensituation?» Solche Gedanken machen sich die Menschen heute mehr als früher, sagt Baier.

«Die Menschen sind nicht einfach feige»

Je uneindeutiger eine Situation sei, umso weniger werde dann eingegriffen. Der Experte macht da aber niemandem einen Vorwurf.

«Die Menschen sind nicht einfach feige und verstecken sich hinter ihren Smartphones», stellt Baier klar.

Und: «Ich denke, grundsätzlich ist Zivilcourage nicht seltener geworden.» Er denke da beispielsweise an die Tat im österreichischen Villach.

Zur Erinnerung: Dort hat ein Pizzabote einen Messerstecher davon abhalten können, noch mehr Menschen anzugreifen. «Es gibt also immer auch die guten Nachrichten, die wir aber weniger wahrnehmen», sagt Baier.

Auch Alarm schlagen ist Zivilcourage

Hinzu kommt: Um Zivilcourage zu zeigen, braucht es manchmal gar nicht so viel.

Laut Ilg von der Kriminalprävention ist schon das Alarmieren und Hilfe holen eine couragierte Handlung.

Aber: «Sich selbst in Gefahr zu bringen, ist eine schlechte Idee und wird absolut nicht empfohlen.»

Dem pflichtet auch Baier bei. «Es geht gar nicht darum, in einer Situation den Helden zu spielen», sagt er.

Warst du schon einmal in einer Situation, wo Zivilcourage angebracht gewesen wäre?

Stattdessen sei es wichtig, den Menschen Strategien zu vermitteln, mit kritischen Situationen umzugehen. «Das heisst, andere umstehende Personen anzusprechen, sie um ihre Einschätzungen zu bitten, sie zum Handeln aufzufordern.»

Die sechs Zivilcourage-Regeln der Kriminalprävention für den Ernstfall: «Gefahrlos handeln, Mithilfe fordern, genau hinsehen, Hilfe holen, Opfer versorgen, Zeugenaussage machen.»

Zurück zum Fall in der Appenzell Bahn: Der Tatverdächtige, ein vorläufig aufgenommener Afghane, konnte mittlerweile von der Kantonspolizei Appenzell Ausserrhoden identifiziert und festgenommen werden.

Kommentare

User #2860 (nicht angemeldet)

Fertig mit Heidiland Schweiz !!

User #3517 (nicht angemeldet)

Es gibt nur eine nachhaltige Lösung

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