Skeptische Bauern impfen nicht gegen Blauzungenkrankheit – Kritik
Rund die Hälfte der Bauern zögert bei der Impfung gegen die Blauzungenseuche. «Sie wiegen sich in falscher Sicherheit», warnt ein Experte.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Blauzungenkrankheit bedroht Schafe und Kühe – und sorgt für Todesfälle.
- Seit vergangener Woche gibt es auch in der Schweiz die Erlaubnis zu impfen.
- Insbesondere Schafzüchter zeigen sich darüber erleichtert.
- Doch viele Bauern bleiben gegenüber der Impfung skeptisch – und werden dafür kritisiert.
Die Zunge bläulich verfärbt, Fieber, Entzündungen – und das ist nur der Anfang. Die Blauzungenseuche, eine Viruserkrankung, bedroht Wiederkäuer in der Schweiz.
Besonders betroffen: Schafe, bei denen die Krankheit oft zum Tod führen kann. Mehrere Kantone mussten bereits Todesfälle melden.
Atem- und Schluckbeschwerden sind häufige Symptome, die das Ende für viele Tiere bedeuten. Auch Fehlgeburten sind keine Seltenheit.
Zwar sind die Folgen für Rinder oft weniger dramatisch, doch die Krankheit beeinträchtigt bei ihnen die Milchproduktion erheblich.
Doch: Seit vergangener Woche gibt es nun Hoffnung.
«Impfung minimiert wirtschaftliche Folgen»
Der Bund hat den Impfstoff gegen den sehr schädlichen Blauzungenkrankheits-Serotyp 3 erlaubt. Ohne übliches Zulassungsverfahren, gestützt darauf, dass die Impfung in der benachbarten EU zugelassen ist.
Die Impfung stelle eine «Erleichterung» dar, wie Christian Aeschlimann, Geschäftsführer des Schweizer Schafzuchtverbands, gegenüber Nau.ch sagt. «Der Impfstoff wurde in der EU bereits vor Monaten zugelassen, was zu Unverständnis führte.»
Ähnlich äussert sich Michel Geinoz, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Schweizer Rinderzüchter, bei Nau.ch: «Wir sind sehr froh und dankbar, dass die Behörden reagieren konnten und dass der Impfstoff jetzt zur Verfügung steht»
Für die Rinderzüchter spricht die Arbeitsgemeinschaft eine Impf-Empfehlung aus: «Damit die wirtschaftlichen Folgen der Blauzungenkrankheit-Ansteckung minimiert werden können.»
Hälfte der Bauern will Tiere nicht impfen lassen
Doch längst nicht alle freuen sich auf die Impfung, die einen milderen Verlauf verspricht.
Es gibt auch grosse Vorbehalte, wie eine nicht-repräsentative Umfrage der Zeitung «Schweizer Bauer» mit über 600 Teilnehmenden zeigt: Fast 45 Prozent der Befragten wollen ihre Tiere nicht impfen. Weitere 29 Prozent sind noch unentschlossen.
Angesprochen auf die Umfrage führt Christian Aeschlimann vom Schafzuchtverband zwei Hauptgründe für die Skepsis an: «Einerseits muss die Impfung selbst bezahlt werden», sagt er. Die Kosten belaufen sich mit zwei nötigen Dosen auf schätzungsweise zehn Franken pro Tier.
«Andererseits sind sich einige der Brisanz der Blauzungenkrankheit nicht bewusst», so Aeschlimann. Grund: Die Krankheit wird durch Mücken und nicht von Tier zu Tier übertragen.
«Es kann also gut sein, dass in betroffenen Betrieben nur ein kleinerer Teil der Tiere gestochen wurde.» So könnten die Folgen des Virus weniger dramatisch erscheinen. «Die Züchter wiegen sich in falscher Sicherheit», warnt er.
Erfahrungen aus Deutschland zeigten aber, dass rund 25 Prozent der infizierten Schafe sterben. «Wer auf Durchseuchung statt auf Impfung setzt, muss tote Tiere in Kauf nehmen, was letztendlich auch zu finanziellen Einbussen führt.»
Auch bei Rindern bleiben die wirtschaftlichen Folgen einer Infektion trotz geringerer Sterblichkeit beträchtlich. Und dennoch möchten längst nicht alle ihre Tiere impfen lassen.
Frühere Impfpflicht verärgerte Bauern
Maren Feldmann, Tierärztin bei «Rindergesundheit Schweiz», erklärt bei Nau.ch die Gründe: «Neben generellen Impfgegnern gibt es Bauern, die sich aus ökonomischen Gründen oder wegen früherer Erfahrungen gegen die Impfung entscheiden.»
Besonders die Impfpflicht 2008 – damals gegen einen früheren Typen der Blauzungenkrankheit – habe bei einigen negative Gefühle hinterlassen.
«Ich rate Bauern, sich mit ihren Tierärzten abzusprechen», empfiehlt Feldmann. Sie betont aber auch, dass letztlich jeder für sich abwägen müsse. «Bei vielen Bauern war der Wunsch nach der Impfung gross – entsprechend erleichtert sind sie nun.»
Regionale Unterschiede bei Impfnachfrage gross
Die Nachfrage nach Impfstoffen ist trotz aller Skepsis da, wie die zuständigen Vertriebsfirmen gegenüber Nau.ch bestätigen.
Sylvie Probst von Virbac sagt, es gebe grosse regionale Unterschiede. «In manchen Kantonen haben Tierärzte den Impfstoff schon bestellt, in anderen gar nicht.» Genauere Angaben kann sie aus Wettbewerbsgründen keine machen. Virbac rechnet mit einer Auslieferung an die Praxen im Verlauf der nächsten Woche.
Ina Binder von Boehringer Ingelheim rechnet mit einer Verfügbarkeit ihres Produkts in der Schweiz Mitte November. «Der Importprozess wurde bereits initiiert.» Sie betont: «Für eine erfolgreiche Bekämpfung der Blauzungenkrankheit ist eine hohe Durchimpfungsrate essenziell.»
Impfung wird Bauern ab Anfang Jahr empfohlen
Heisst: Geimpft wird zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht. Aktuell ist es aber ohnehin noch zu früh – respektive zu spät – für den Piks.
Warum, erklärt der Schaffhauser Kantonstierarzt Peter Uehlinger bei Nau.ch: «Eine Impfung zum jetzigen Zeitpunkt bringt wahrscheinlich keinen Nutzen mehr, da der Impfschutz erst nach einer zweimaligen Impfung aufgebaut wird.»
Bis dann sollte die Verbreitung der Blauzungenseuche aufgrund der tieferen Temperaturen zurückgegangen sein. Die Mücken, die das Virus übertragen, werden dann wohl nicht mehr zustechen.
Bei zwei Impfdosen Anfang Jahr sollten die Tiere aber für die nächste Mückensaison immunisiert sein. Der Impfschutz soll dann über die Sommermonate anhalten und für mildere Verläufe sorgen.