So leicht bekommt man im Spital ein Arztzeugnis
Arztzeugnisse sind leicht zu kriegen. Geschätzt kosten Fehltage die Schweiz jährlich 24 Milliarden Franken. Arbeitgeberverband und Suva fordern Massnahmen.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Fall eines Berner Patienten zeigt, wie leicht man ein Arztzeugnis bekommt.
- Der Arbeitgeberverband fordert eine genauere Beurteilung der Einsatzmöglichkeiten.
- Durch Fehltage entstehen in der Schweiz Milliarden-Kosten.
Der Berner Thomas B.* verletzt sich Ende Juni bei einem Fussball-Turnier. Weil er auf Nummer sicher gehen will, stattet er darauf dem Notfall-Dienst eines Spitals der Insel-Gruppe einen Besuch ab.
«Ich war erleichtert. Das Röntgenbild zeigte, dass nichts gebrochen ist. Ich habe mir ‹nur› eine Knochenhaut-Entzündung zugezogen», sagt er.
Thomas bekommt von den Ärzten ein Sport-Verbot aufgebrummt – bis er keine Schmerzen mehr habe. Zudem fragt man nach, was er denn arbeite.
«Im Büro», antwortet er. Zu Thomas' Überraschung schlägt die Ärztin daraufhin vor: «Soll ich Ihnen ein Arzt-Zeugnis ausstellen? Was denken Sie, wann können Sie wieder arbeiten?»
Thomas versichert aber, er könne gut arbeiten und Sitzen sei kein Problem. Die Ärztin hakt trotzdem nach: «Sind Sie sicher?»
Mit einem «Ja, gerne» hätte sich der Berner im Handumdrehen ein bis zwei Wochen arbeitsunfähig schreiben lassen können. «Wenn ich aber dann trotzdem in die Badi gegangen wäre, hätte ich kein gutes Gefühl gehabt...», sagt er. So lehnte er das Zeugnis ab.
Arbeitgeberverband: 24 Milliarden im Jahr für Fehltage!
Solche Vorgehen sind in Spitälern und in Praxen Alltag. Und das geht dem Arbeitgeberverband zu einfach. Daniella Lützelschwab, Ressortleiterin Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht, erinnert: «Jeder Tag Abwesenheit generiert für Unternehmen hohe Kosten.»
Genauer gesagt: «Das Netzwerk Risikomanagement hat die Kosten von Fehltagen fürs Jahr 2019 auf 24 Milliarden pro Jahr geschätzt.»
In 4,2 Millionen Vollzeitstellen gebe es im Schnitt sieben krankheits- oder unfallbedingte Fehltage pro Jahr.
Das ist zu viel. Die Forderung vom Arbeitgeberverband: «Ärzte sollen auch eine ärztliche Beurteilung der Einsatzmöglichkeiten abgeben. Damit sowohl der Arbeitgeber als auch die Mitarbeitenden wissen, welche Belastung in gesundheitlicher Hinsicht möglich ist. Ohne die Genesung zu gefährden.»
Heisst: Thomas B. könnte im Sitzen arbeiten, aber nicht körperliche Belastungen auf sich nehmen.
Insel-Spital: «Wenn jemand Notfall aufsucht, gehen wir von hoher Belastung aus»
Die Insel-Gruppe will von voreiligen Arztzeugnissen nichts wissen: «Wenn jemand das universitäre Notfallzentrum aufsucht, gehen wir erstmal von einer hohen Belastung des Patienten aus», heisst es auf Anfrage.
Anschliessend würden sich die Ärzte ein umfassendes Bild des Patienten machen, «um deren Risikofaktoren zu verstehen».
Fragen, auch in Richtung Eigenverantwortung, seien wichtig, um den Genesungsprozess zu unterstützen. «Ausserdem tragen die Ärzte auch die Verantwortung dafür, Patienten zu informieren, wann eine Auszeit der Arbeit angebracht wäre.»
Im Beispiel von Thomas B., einer Knochenhautentzündung, sei der dadurch verursachte Schmerz sehr individuell. «Ob die Person arbeitsfähig ist, ist von deren individueller Konstitution und Situation abhängig.»
Höhere Hürden? «Kaum umsetzbar»
Der Unfall-Versicherer Suva bestätigt, dass Ärzte verpflichtet sind, Patienten darauf anzusprechen, ob diese arbeitsfähig sind.
Klar sei aber auch: «In der ärztlichen Aus- und Weiterbildung besteht Verbesserungspotential hinsichtlich des Ausstellens von Arztzeugnissen.» Das konkrete Vorgehen werde in der Praxis jeweils im Einzelfall mit dem Vorgesetzten besprochen. «Daher sind die Erfahrungswerte der einzelnen Ärzte unterschiedlich.»
Beim Versicherer Axa weiss man aber auch: «Es ist aus unserer Sicht kaum umsetzbar, Hürden im heutigen System zu erhöhen. Zumal Versicherte selbst den attestierenden Arzt wählen können.»
*Name der Redaktion bekannt