Staatsverweigerer-Szene wächst nach Corona weiter
In der Schweiz gibt es immer mehr Staatsverweigerer, die teilweise ihre Steuern nicht zahlen wollen. In einigen Kantonen ist die Szene grösser als in anderen.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Zahl der Staatsverweigerer in der Schweiz nimmt zu.
- Mit Verschwörer-Briefen halten sie die Bürokratie auf Trab.
- Ein Experte rät: «Staatsverweigerern niemals Zugeständnisse machen.»
Der Staat sei nur eine «Firma» und habe keine Berechtigung, Steuern einzutreiben. Während Corona erlebten solche Staatsverweigerer-Ideologien einen Boom. Und das Ende der Pandemie tut der Bewegung keinen Abbruch – im Gegenteil.
Das erstaunt den Extremismus-Forscher Dirk Baier. Er sagt zu Nau.ch: «Ich hatte die Vermutung, dass nach Corona die Szene in sich zusammenbrechen könnte. Weil der gemeinsame Feind, der übermächtige Staat, wieder in den Hintergrund getreten ist.»
Doch Pustekuchen. «Wir müssen aber anhand unserer Daten feststellen, dass der Anteil der staatsverweigernd eingestellten Personen weiter steigt.» Laut aktuellen Zahlen der ZHAW liegt der Anteil mittlerweile bei 3,3 Prozent.
«Dies hat damit zu tun, dass insbesondere verschwörungstheoretisches Denken wieder ansteigt.» Dazu komme: «Die verschiedenen gesellschaftlichen Krisen – Klima, Krieg, Migration – verunsichern einen Teil der Bevölkerung derart, dass sie Halt im staatsverweigernden Denken finden.»
Glarus erhielt seit letztem Jahr 40 Schwurbler-Briefe
Nicht jeder Kanton ist gleich stark von der Belastung durch solche «Staatsverweigerer» betroffen, wie eine Umfrage von Nau.ch unter Deutschschweizer Kantonen zeigt.
Glarus hat seit Anfang 2023 etwa 40 «sogenannte Verschwörer-Briefe» erhalten. Darin werde behauptet, dass die Steuerverwaltung keine Berechtigung hat, Steuern einzuziehen.
Es waren meist «Copy-Paste-Schreiben», die überall in der Schweiz an Behörden verschickt wurden. «Darauf wurde nicht reagiert und das ordentliche Steuerverfahren weitergeführt», heisst es auf Anfrage.
Szene wächst in Schaffhausen und Nidwalden
Seit Beginn der Corona-Pandemie hat Graubünden etwa zehn solcher Fälle registriert. Im Kanton Solothurn sind etwa ein Dutzend Fälle von Staatsverweigerung bekannt, genauso in Appenzell Ausserrhoden. Dort ist die Tendenz abnehmend.
Anders in Schaffhausen – dort wächst die Szene. Mit unschönen Folgen: «Sie verursachen bei der Veranlagung und beim Bezug einen Mehraufwand und gehen die zuständigen Mitarbeitenden teilweise persönlich an.»
Eine «leichte Zunahme» verzeichnet auch der Kanton Nidwalden. Trotzdem handle es sich bislang «um wenige Einzelfälle». Eine genaue Statistik werde nicht geführt. Weitere Kantone teilen mit, dass sie keine konkreten Zahlen liefern können, berichten aber ebenfalls von «Einzelfällen».
Staatsverweigerer schulen sich gegenseitig
Extremismus-Forscher Dirk Baier sagt, dass es bislang keine verlässlichen Erkenntnisse zu regionalen Unterschieden gibt. «Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass es dieses Denken überall in der Schweiz gibt und nicht nur in einzelnen Gebieten.»
Es könne aber sein, dass es in bestimmten Regionen Verdichtungen gibt. «Das heisst, um einzelne Personen herum sind Szenen entstanden.» Innerhalb dieser Szenen animiere man sich gegenseitig. «Man schult sich gegenseitig darin, wie man sich am besten querulatorisch verhält.»
Eine Einladung zu einem solchen Schwurbel-Seminar liegt Nau.ch vor. Darin heisst es pseudo-professionell: «In diesem Vortrag teilt uns Mensch XY das wichtige Grundwissen des Kommerzrecht mit: der Unterschied zwischen dir, als Mensch und deiner Person.»
Dirk Baier erklärt weiter: «Zum einen ziehen staatsverweigernd eingestellte Personen eher in Gebiete, wo sie auf Gleichgesinnte treffen, wo sich Szenen etabliert haben. Zum anderen erfasst dieses Denken aber auch bereits in einem Gebiet wohnhafte Menschen.»
Staatsverweigerern «keinesfalls Zugeständnisse machen»
Die Schweizer Behörden hätten in den letzten Monaten viel getan, Staatsverweigerern besser zu begegnen, so Baier. «Die meisten Behörden wissen um die Staatsverweigerer, haben eigene Strategien im Umgang mit diesen entwickelt. Insbesondere die Strategie, keinesfalls irgendwelche Zugeständnisse zu machen.»
Die Behörden sollten ihre Mitarbeitenden auch weiter schulen.
Und: «Die behördlichen Verfahren sollten konsequent umgesetzt werden.» Das würde dann auch dazu führen, dass sich Staatsverweigerer juristisch für ihr Verhalten verantworten müssen. «Zudem braucht es weiterhin eine Aufklärungsarbeit mit Blick auf die Bevölkerung, sich nicht solchen Staatsverweigerer-Gruppen anzuschliessen.»