Sucht als Versteck im ersten Roman von Jeanette Hunziker
In ihrem Debütroman «Für immer alles» erzählt Jeanette Hunziker von einer jungen Frau, die nach dem Tod ihres Vaters den Ursachen ihrer Sucht nachgeht.
Anlass für die intensive Selbstbefragung ist der Tod des Vaters. Sucht vererbt sich von den Eltern auf die Kinder, heisst es. Dabei ist im Roman «Für immer alles» der alkoholkranke Vater gar nicht der eigentliche Erzeuger der Ich-Erzählerin.
Die Nachricht von seinem Tod überrascht die 38-Jährige. Sie hat ihre Beziehung zu ihm längst auf seltene Besuche beschränkt. Seine Beerdigung betrifft sie dennoch.
Die Erzählerin nimmt die Inventur des väterlichen Erbes zum Anlass, Fragen an sich selbst zu stellen. Sie beginnt Erinnerungen an Vater, Mutter, das frühere Familienleben festzuhalten, auf der Suche nach den Wurzeln für ihr eigenes Verhalten, ihr Verhältnis zur Welt.
Eine protokollarische Reise ins Innere
Dieser protokollarische Charakter drückt dem Debütroman von Jeanette Hunziker den Stempel auf. Dabei entwickelt die Autorin keine kontinuierliche Erzählung. Vielmehr schichtet sie die mal kurzen, mal längeren Eintragungen übereinander oder schneidet sie gegeneinander.
Ihre Prosa erhält so etwas Tastendes, roh Gefertigtes. Süchte sind kompliziert, genauso wie das Verhältnis zu einem Vater, mit dem sie keine Gene teilt. Mit zwölf erfuhr sie, dass sie das Kind eines anonymen Samenspenders ist.
Auch wenn der väterliche Tod die Erzählerin nicht im Innersten berührt, sickert eine unterschwellige Empathie in ihr Gedenken ein. Wo ihre eigene Sucht herrührt, bleibt jedoch offen.
Die Unauflöslichkeit der eigenen Sucht
Die Erzählerin kann es gar nicht auflösen. Vielleicht gerät deshalb ihr Schreiben immer wieder ins Stocken: «Das Ende der Sätze kommt mir abhanden», notiert sie.
Sie versteckt sich hinter der brüchigen, «erfundenen» Sprache wie hinter dem diffizilen Verhältnis zum eigenen Körper und seiner «grotesken Dünnheit». Die beiden Symptome verbinden sich, ohne dass das eine dem anderen ursächlich untergeschoben wird.
«Für immer alles» dreht sich intensiv und intim um «das Schweigen, die Scham, die leeren Stellen». Jeanette Hunziker legt ein Debüt vor, das formal nicht ganz ausgefeilt wirkt, genau dies aber auch nicht sein will, damit die Brüchigkeit des Stoffes nicht überdeckt wird.*
*Dieser Text von Beat Mazenauer wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.