Tessiner Kunstmuseum zeigt Kirchner und die Gruppe «Rot-Blau»
Das Museo d'arte della Svizzera italiana in Lugano widmet eine Ausstellung dem Künstler Ernst Ludwig Kirchner und der Künstler-Gruppe «Rot-Blau».
Das Museo d'arte della Svizzera italiana (Masi) in Lugano widmet dem Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner eine kleine, feine Ausstellung. Dabei stellt sie direkte Bezüge zu der im Mendrisiotto gegründeten und im Tessin aktiven Basler Künstler-Gruppe «Rot-Blau» her.
Tiefleuchtendes Gelb, kräftige Farbflächen und eine verzerrte Perspektive prägen das Bild «Alpküche», das Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938) im Jahr 1918 schuf. Es zeigt den Innenraum seiner Behausung auf der Stafelalp ob Davos. Die offene Tür gibt den Blick auf das Tinzenhorn am Horizont frei – ein Motiv, das beim deutschen Expressionisten immer wieder auftaucht.
Die Leihgabe aus der Sammlung Thyssen-Bornemisza in Madrid ist eines von zehn Bildern, welche die Schweizer Berglandschaft und ihre Bewohner um Davos ins Zentrum rücken. Unter ihnen ist auch «Bauernmittag», ein von kräftigen Pinselstrichen geprägtes Bild, das 1937 in der Propagandaausstellung «Entartete Kunst» in München gezeigt wurde, da es nach den Kriterien des NS-Regimes ein Beispiel für «schlechte Kunst» darstellte und den Bauernstand «beleidigte».
Werke der Expressionistengruppe
Die Ausstellung «Ernst Ludwig Kirchner und die Künstler der Gruppe Rot-Blau» stellt anhand von Werken der Expressionistengruppe aus der Sammlung des Masi einen direkten Bezug zu Kirchners Werk her.
Dabei wird sichtbar, wie stark das Schaffen der Basler Gruppe von ihrem «Mentor», aber auch vom Tessin inspiriert war. Die jungen Männer aus Basel, die Kirchners Kunst auf zwei grossen Schauen der Kunsthalle Basel und im Kunstmuseum Winterthur kennengelernt hatten, arbeiteten regelmässig Seite an Seite mit ihrem Vorbild in dessen Haus bei Davos.
Von dieser Nähe zeugen die klar begrenzten Farbflächen, die leicht verzerrte Perspektive und der bedrückte Gesichtsausdruck in Werner Neuhaus' Bild «Der Malerfreund Albert Müller». Wie bei Kirchner findet sich auch bei den «Rot-Blauen» ein neu empfundenes, von der Emotion bewegtes Menschen- und Landschaftsbild. Auch sind die Farben bei den Expressionisten nicht jene der Natur, sondern drücken die subjektiven Gefühle des Malers aus.
Kirchner fördert Schweizer Künstler
In den Jahren 1925 und 1926 intensivieren sich die Kontakte zwischen der Künstlervereinigung und Kirchner. Letzterer konzipiert an der «Internationalen Kunstausstellung» in Dresden einen Raum, welcher der jungen Schweizer Kunst gewidmet ist und lädt die «Rot-Blau»-Mitglieder Albert Müller, Paul Camenisch, Hermann Scherer und Philipp Bauknecht ein, an der Ausstellung teilzunehmen.
Die sorgfältig kuratierte Schau am Standort im Kulturzentrum LAC (Lugano Arte e Cultura) macht deutlich, wie die Davoser Berglandschaft Kirchner und die Südschweizer Landschaft die Gruppe «Rot-Blau» geprägt haben.
Müller, Camenisch und Scherer gründeten nicht nur ihre Künstlervereinigung in der Silvesternacht von 1924 in Castel San Pietro im Mendrisiotto, sondern sie malten auch regelmässig im Südtessin. Beispiel dafür ist das Bild «Der Mann in den Reben» von Paul Camenisch. Aufgrund des starken Tessin-Bezugs wird sogar gemutmasst, ob der Name der Künstlergruppe sich auf die Farben des Tessiner Wappens beziehen könnte.
Kirchners Tessin-Sehnsucht
Dass auch Kirchner eine Tessin-Sehnsucht in sich trug, zeigt ein Brief vom 15. Mai 1923 an Wilhelm Schwarzmann, der im Südkanton lebte. Darin bittet Kirchner seinen Freund, für ihn in oder um Locarno ein Häuschen zu suchen: «Ich habe grosse Lust, mal in warmem Klima zu sein und Ihre Erzählungen haben diese Lust noch vergrössert.»
Zu einem Umzug in den Süden sollte es aber nicht mehr kommen. Kirchner, der vom Ersten Weltkriegs traumatisiert und von Drogen- und Alkoholmissbrauch geschwächt 1923 nach Davos übersiedelt war, geht es ab 1934 mental zusehends schlechter.
Die Gruppe «Rot-Blau» löst sich bereits 1927 wieder auf, nachdem Ende 1926 Müller im Tessin an einer Typhuserkrankung und Mitte Mai 1927 Scherer gestorben ist. Besonders der Tod von Müller ist für Kirchner ein schwerer Schlag, der seinen Basler Schüler als seinen «einzigen Freund» bezeichnete.
Kirchners tragisches Ende
Nachdem die Nazis 1937 über 600 von Kirchners Bildern beschlagnahmen und 1938 den Anschluss Österreichs erzwingen, vernichtet Kirchner mehrere seiner Werke und nimmt sich am 15. Juni bei Davos das Leben.
Die Ausstellung «Ernst Ludwig Kirchner und die Künstler der Gruppe Rot-Blau» ist vom 17.11. bis zum 23.03.2025 im Museo d'arte della Svizzera italiana (Masi) in Lugano am Standort LAC zu sehen.