Touri-Gebühr in Lauterbrunnen? «Wenn alle Stricke reissen»
An Hotspots wie Iseltwald BE oder Lauterbrunnen BE sollen Rangers und Ordnungsdienste die Gästeströme in Schach halten – und die Reisenden auf No-Gos hinweisen.
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Das Wichtigste in Kürze
- Im Kampf gegen den Massentourismus setzt die japanische Stadt Otaru auf Sicherheitskräfte.
- Sie beaufsichtigen die Besuchenden und weisen diese, wenn nötig, auf Fehlverhalten hin.
- Auch hierzulande sollen Security und neue Regeln Chaos verhindern und Anwohner schützen.
Neuseeland in «Herr der Ringe», die Insel Koh Phi Phi in «The Beach», Dubrovnik in «Game of Thrones»: Orte und Regionen, die als Drehkulisse für Film- und Serienhits dienten, werden verlässlich zu Touristenmagneten.
Was gut ist für Kasse und Image, kann für Einheimische schnell zur Belastungsprobe werden. Das zeigt das jüngste Beispiel Otaru.
Otaru: Touristin beim Fotografieren von Zug erfasst
In der japanischen Hafenstadt wurden grosse Teile des in Asien populären Liebesfilms «Love Letter» gedreht.
Das ist zwar schon 30 Jahre her. Dennoch strömen Fans noch immer in Scharen nach Otaru, um sich an Filmschauplätzen wie dem Asari-Bahnhof in Fotopose zu werfen.
Letztes Jahr verzeichnete die Stadt mit ihren rund 100'000 Einwohnern ebenso viele Übernachtungsgäste (98'678) – mehr als vor der Pandemie.
Viele Touristen benehmen sich nicht, wie es sich gehört: Sie betreten unerlaubt private Grundstücke und behindern den Verkehr, indem sie mitten auf der Strasse fotografieren.
Das Fass zum Überlaufen brachte ein Todesfall Ende Januar: Eine 61-jährige Touristin aus China wurde von einem Zug erfasst, als sie auf den Bahngeleisen Fotos machte.
Als Reaktion setzen die Behörden neu Sicherheitskräfte ein. Diese sollen Reisende auf ungebührliches Verhalten hinweisen und sie davon abhalten, auf der Suche nach dem perfekten Schnappschuss Risiken einzugehen.
Iseltwald: Sicherheitsangestellte kontrollieren Reisebusse
Man muss indes nicht in den fernen Osten schweifen, um auf derartige Massnahmen zu treffen. Auch Schweizer Gemeinden stocken im Kampf gegen den Overtourism ihr Sicherheitspersonal auf.
Iseltwald BE am Südufer des Brienzersees ist gewissermassen das helvetische Pendant zu Otaru. Am dortigen Bootssteg wurde eine Schlüsselszene der südkoreanischen Fernsehserie «Crash Landing on You» gedreht.
Die Popularität des Netflix-Dramas hat das 400-Seelen-Dorf weltberühmt gemacht – und in einen Hotspot für Touristen aus Asien verwandelt.
Um den Ansturm in den Griff zu bekommen, stehen mehrere Sicherheitskräfte im Einsatz.
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Ein Ordnungsdienst überwacht die Einfahrt von Reisebussen, prüft Reservierungen und weist nicht registrierte Fahrzeuge ab. Nachdem es zu chaotischen Szenen gekommen war, dürfen Reisebusse das Dorf nur noch nach vorheriger Anmeldung befahren.
Eine Lenkung ist auch beim öffentlichen Verkehr notwendig. Die kleine Bushaltestelle Iseltwald Dorf wurde zu einem neuralgischen Punkt, da die Menschenmengen den Ein- und Ausstieg behinderten.
Postauto hat deshalb im letzten Jahr ebenfalls eine Sicherheitskraft eingeführt. Sie soll den Besucherfluss steuern und einen reibungslosen Halt des Busses an der Haltestelle gewährleisten.
Bewohner schützen sich mit Zäunen und Schildern
Gemeinderätin Jeannette Unterberger, verantwortlich für das Ressort Bildung und Tourismus, sagt zu Nau.ch: «Die Massnahmen wurden ergriffen, um die Verkehrsordnung im schmalen Dorf Iseltwald aufrechtzuerhalten und die Lebensqualität der Einwohner zu schützen.»
Anfangs habe es zahlreiche Beschwerden über das Verhalten der Touristen gegeben, erzählt Unterberger. Gärten seien ohne Erlaubnis betreten, Obst ohne Zustimmung der Besitzer gepflückt worden.
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Hinzu kamen Littering und stark verschmutzte öffentliche WC-Anlagen.
Die Einheimischen haben inzwischen Massnahmen ergriffen, um ihre Privatsphäre zu schützen und die teils aufdringlichen Gäste auf Distanz zu halten.
«Sie haben Zäune errichtet, Gartentore verschlossen und Schilder aufgestellt, die auf private Grundstücke hinweisen», so Unterberger.
Mittlerweile hätten sich die Bewohner an den starken Touristenandrang gewöhnt.
Lauterbrunnen: Foto-Touristen sorgen für Verkehrschaos
Was für Iseltwald der Holzsteg ist, ist für Lauterbrunnen der Staubbachfall.
Das Bergdorf, nur 13 Kilometer südlich von Iseltwald, ächzt vor allem unter einer Sorte Touristen: jene, die mit ihren Mietwagen anreisen, beim Wasserfall rasch ein Selfie schiessen und sich wieder verabschieden.
Bis zu 4600 Fahrzeuge rollen an Spitzentagen ins Dorf. Auf der schmalen Kantonsstrasse kommt es regelmässig zu Stau und Verstopfungen.
Gemeindepräsident Karl Näpflin sagt: «Für diesen Foto-Tourismus ist unsere Infrastruktur schlicht noch nicht bereit.»
Parkwächter sollen für flüssigeren Verkehr sorgen
In den nächsten Jahren soll deshalb die Ortsdurchfahrt verbreitert und die Zahl der Parkplätze erhöht werden.
Bereits jetzt setzt die Gemeinde zusätzliches Personal ein, um die Touristenmassen in Schach zu halten.
Im Rahmen eines neu geschaffenen Sicherheitsressorts wurden vergangene Saison zwei Ranger angestellt. «Im Sommer sind diese hauptsächlich damit beschäftigt, im Dorf zu patrouillieren und zum Rechten zu schauen», sagt Näpflin.
Die uniformierten Aufseher überwachen die Besucher und schreiten ein, wenn sich diese nicht korrekt verhalten. Wenn sie etwa Gärten betreten oder mitten auf der Strasse fotografieren.
Auf dem hochfrequentierten Kirchenparkplatz schauen ausserdem Parkwächter zum Rechten.
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«Sie weisen die Fahrzeuge ein und leiten sie weiter, wenn der Parkplatz voll ist», erklärt Näpflin. Damit soll der Verkehrsfluss verbessert werden.
Auch mit einem Parkleitsystem und einem Foto-Hotspot-Trail versucht Lauterbrunnen, die Besucherströme in geordnete Bahnen zu lenken. Und zu verhindern, dass die Selfie-Jäger über Privatgrundstücke trampeln.
Eintrittsgebühr war nur eine Idee, aber ...
Für internationale Schlagzeilen sorgte Lauterbrunnen mit der Idee, eine Gebühr für Tagestouristen zu erheben, die mit dem Auto anreisen.
Das war im Frühling 2024. Heute sagt Näpflin: «Es handelte sich nur um eine Idee von mir persönlich, die nie ernsthaft diskutiert wurde.»
Und dennoch: Die Überlegung bleibe im Raum bestehen. «Als Worst-Case-Szenario, wenn alle Stricke reissen», so Näpflin.
Denn er ist überzeugt: «Wenn Chinas Mittelstand wirklich zu reisen beginnt, dann werden die Touristenströme in unserem Land eine ganz andere Dimension erreichen.»
Luzern: «Friendly Hosts» statt Sicherheitsangestellte
Nicht nur kleine Orte wie Iseltwald und Lauterbrunnen kämpfen mit den Auswirkungen des Massentourismus. Auch in der Stadt Luzern ist der Besucherandrang längst ein Dauerthema.
Eine repräsentative Befragung Anfang 2024 zeigte, dass die Luzerner Bevölkerung zwar den wirtschaftlichen Nutzen des Tourismus anerkennt.
Besonders die Verkehrsprobleme, steigende Wohnungspreise und die ungleiche Verteilung von Kosten und Nutzen sorgen aber für Kritik. Die Zahl der Touristen in der Altstadt wird als nicht mehr akzeptabel eingestuft.
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Immerhin ein Viertel (26 Prozent) der Befragten gab zudem an, dass das Verhalten der Touristen oft unangemessen sei.
Dennoch setzt Luzern nicht auf klassisches Sicherheitspersonal, sondern auf eine sanftere Methode der Touristenlenkung.
Seit längerer Zeit sind sogenannte «Friendly Hosts» im Einsatz: freiwillige Helfer, die während der Hochsaison auf verschiedenen Plätzen präsent sind und Besuchern Auskunft zu verschiedenen Anliegen geben.
Und wie kommen sie an? Dieses Angebot werde von Gästen und Einheimischen gleichermassen geschätzt, sagt Nadine Pfister von der städtischen Kommunikation.
Halt mit dem Reisebus kostet neu 100 Franken
Ein weiteres Problem sind grosse Gruppen, die sich an stark frequentierten Orten wie dem Schwanenplatz stauen. Gruppenreisende werden laut der Bevölkerungsbefragung als störender empfunden als Individualtouristen.
Ab März 2025 überarbeitet Luzern daher sein Reisebusregime. Für einen Halt im Stadtzentrum bezahlen Busse künftig 100 Franken. Das Ziel: Eine bessere Verteilung der Gästeströme und somit weniger Andrang an den gleichen Plätzen.
Ausserdem werden derzeit die Fussgänger-Signalisationen angepasst. «Damit sich Gäste besser orientieren können und keine Abkürzungen durch private Gärten suchen», erklärt Pfister.
Ob das reicht, um die Bedenken der Einheimischen zu zerstreuen? Die Stadt behalte sich vor, weitere Massnahmen zu ergreifen, um die Besucher für die lokalen Gepflogenheiten zu sensibilisieren, so Pfister.