Unbekannte spicken Drink von Zürcherin (23) mit K.o.-Tropfen
Eine Nau.ch-Leserin ist überzeugt, dass ihr während eines Abends in Zürich K.o.-Tropfen ins Getränk geschüttet wurden. Eine Warnung für Opfer – und Zeugen.
Das Wichtigste in Kürze
- K.o.-Tropfen werden immer wieder genutzt, um Menschen zu betäuben und wehrlos zu machen.
- Verabreicht werden sie heimlich, unbemerkt, illegal.
- Eine betroffene Zürcherin erzählt von ihrer Erfahrung mit der Droge.
«Ich kann mich an den grössten Teil des Abends nicht mehr erinnern», sagt Erin M.*
«Ich weiss noch, dass ich mit meinem Freund in der Bar angekommen bin. Wir haben direkt eine Runde Drinks für den Tisch bestellt und uns hingesetzt. Danach haben wir eine Weile geplaudert und getanzt. Der Rest ist aber weg.»
Blackout! Wieso?
Die Zürcherin ist überzeugt, dass ihr jemand K.o.-Tropfen ins Getränk gemischt hat. Sie hatte nicht einmal die Hälfte davon getrunken, als sie sich auf einmal schrecklich fühlte.
«Ich konnte kaum die Augen aufhalten, kaum aufrecht stehen. Mir war schlecht, und ich schwitzte, obwohl mir eiskalt war», erzählt die 23-Jährige.
Ungefähr eine Stunde nach ihrer Ankunft sagte sie ihrem Freund, dass sie nach Hause wolle. «Am nächsten Morgen erzählte er mir, dass ich dabei lallte und verbal ins Stolpern geriet. Er dachte aber, dass ich einfach zu schnell auf leeren Magen getrunken hatte.»
«So reagiert keiner auf Alkohol»
Erst am nächsten Tag wird ihm sein Denkfehler bewusst. Und er beginnt, über verdächtige Momente nachzudenken. Zum Beispiel, wie Erin M. nach draussen gegangen war, um frische Luft zu schnappen, während er ihre Jacken holte.
Vor der Tür fand er sie von einer «Gruppe Jungs umringt». Sie fragten, ob sie Hilfe bräuchte – schienen aber schnell weg zu wollen, als sie ihn sahen.
«Vielleicht war es nur ein Zufall», sagt Erin M. «Aber, wenn die Rollen vertauscht gewesen wären, hätten da bei mir die Alarmglocken geläutet …»
38 Fälle in Zürich
Erin M. gibt sich auch selbst Schuld. Sie lässt Tage, Wochen und nun Monate verstreichen, ohne irgendjemandem von ihrem Verdacht zu erzählen.
«Ich habe keinen Sinn darin gesehen», sagt sie. «Ich dachte, es wäre Zeitverschwendung, weil ich keine Beweise hatte und die Verantwortlichen ohnehin nicht zu finden sein würden. Jetzt bereue ich's.»
Ihre Geschichte kann eine Warnung sein. Allein in Zürich registrierte die Stadtpolizei im Jahr 2023 38 Fälle, in denen Menschen mit K.o.-Tropfen betäubt wurden.
28 waren es im Jahr 2022, 32 im Vorjahr. 2020 waren es sogar 42. «Die Tendenz für 2024 ist in etwa gleichbleibend», sagt Polizeisprecher Michael Walker.
Sogar im ÖV werden K.o.-Tropfen verabreicht
Bei den mutmasslichen Tatorten handle es sich bei der Hälfte um Bars, Clubs und Restaurants. Ein Viertel befinde sich in Privathäusern und ein Viertel im öffentlichen Raum – Parks, öffentlicher Verkehr, auf der Strasse, etc.
Vorsicht im Nachtleben ist laut der Stadtpolizei Zürich vor allem bei spendierten Getränken geboten. Auch aufpassen sollte man, wenn Kunststoffbecher plötzlich eine weissliche Verfärbung annehmen. Oder wenn unbekannte Personen sofort Hilfe anbieten – wie im Fall der Zürcherin.
Die Polizei rät, Getränke immer selbst von der Bar zu holen und sie nie unbeaufsichtigt stehenzulassen. Walker sagt: «Betroffene, die eine Bewusstlosigkeit mit Erinnerungslücke erleben, sollten sich unbedingt schnellstmöglich in ärztliche Kontrolle begeben.»
Phänomen noch «wenig untersucht»
Im deutschsprachigen Raum ist das Phänomen der K.o.-Tropfen noch «wenig untersucht», sagt Kriminologe Dirk Baier. Oft werden sie aber für Straftaten wie Sexual- oder Eigentumsdelikten genutzt, um die Opfer wehrlos zu machen.
Doch das Phänomen ist verbreitet, wie eine Studie aus Berlin zeigt – 22,2 Prozent berichteten, Erfahrungen mit K.o.-Tropfen gemacht zu haben. Baier geht davon aus, dass die Lage in der Schweiz damit vergleichbar ist.
Laut der Studie suchten die wenigsten einen Arzt auf oder erstatteten Anzeige (0,9 Prozent). Warum, wurde nicht untersucht. «Die Gründe mögen vielfältig sein», sagt der Experte.
Er zählt auf: «Es wird sicherlich der Fall sein, dass die Betroffenen das Erlebte als nicht so schlimm für sich einstufen. Möglicherweise sind sie sich auch nicht ganz sicher, was genau sie erlebt haben.»
Hinzu kommt, dass einige unsicher seien, ob es irgendwelche Beweise hierfür gibt. «Die Substanzen bauen sich ja auch recht schnell wieder ab. Manche haben vielleicht auch kein Vertrauen in die Polizei.»
Moralische Verantwortung
Bars, in denen K.o.-Tropfen verabreicht werden, tragen zwar keine strafrechtliche Verantwortung – «wohl aber eine moralische», sagt Baier.
«Sie können ihre Belegschaft daraufhin schulen, verdächtige Personen anzusprechen, Opfer rechtzeitig zu erkennen und Hilfe anzubieten. Und sie können eng mit Polizei und Präventionsakteuren zusammenarbeiten.»
In der Schweiz werde dies auch immer wieder getan. «Das heisst, die Bars sind sich durchaus ihrer Verantwortung bewusst – wenngleich die Sensibilisierungsarbeit nie abgeschlossen ist.»
Wichtig ist vor allem Täterprävention, sagt Baier. Häufig würden potenziellen Opfern «kluge Ratschläge» gegeben. «Das ist zwar richtig», erklärt er, «aber es verschiebt immer die Verantwortung auf die Seite der Opfer. Verantwortlich sind aber nur die Täter.»
*Name von der Redaktion geändert