Verlieren Muslime das Vertrauen in Schweizer Politik?

Dina Müller
Dina Müller

Fribourg,

Musliminnen und Muslime in Deutschland haben das Vertrauen in die Politik verloren. Auch in der Schweiz sorgen politische Entscheide für Enttäuschung.

Islam Muslime Schweiz Politik
Personen auf dem Bundesplatz in Bern am Tag gegen Islamophobie und Rassismus in 2011. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Laut einer Studie vertrauen deutsche Musliminnen und Muslime weniger in die Politik.
  • Auch in der Schweiz sorgen politische Entscheide immer wieder für Frust.
  • Positive Aspekte unseres Politsystems können einem Vertrauensverlust entgegenwirken.

Eine Studie des Diskriminierungs- und Rassismusmonitors in Deutschland machte kürzlich Schlagzeilen: Musliminnen und Muslime verlieren zunehmend das Vertrauen in die Politik.

34 Prozent vertrauen den deutschen Politikerinnen und Politikern überhaupt nicht.

Grund für den Vertrauensverlust sind laut den Studienautoren globale Krisen, das Erstarken rechter und rechtspopulistischer Parteien und Gruppierungen sowie migrationsfeindliche Diskurse und die langanhaltende Regierungskrise in Deutschland: Faktoren, die zu Teilen auch in der Schweiz Realität sind.

Verliert also auch die Schweizer Politik das Vertrauen der muslimischen Bevölkerung?

Diskriminierung auch in der Schweiz aktuell

«Rund ein Drittel der Musliminnen und Muslime sind von Rassismuserfahrungen in unterschiedlichen Lebensbereichen betroffen», sagt Hansjörg Schmid.

Er ist Direktor des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft an der Universität Freiburg.

Abgrenzung und antimuslimischer Rassismus seien also auch in der Schweiz ein grosses Thema. «Das führt zu Ängsten, Frustration und Stress und trägt auch zu einer Vertrauensabnahme bei», so der Islamwissenschaftler.

Muslimen-Feindlichkeit in der Politik

Solche Erfahrungen müssen Muslime auch in der Politik machen. Schmid stellt fest: «Seit der im Jahr 2009 angenommenen Minarettverbots-Initiative gab es in der Schweiz regelmässig Initiativen und politische Vorstösse, die den Islam einseitig als Problem dargestellt haben.»

Insbesondere bei sprachlich und beruflich gut integrierten Musliminnen und Muslimen löse dies einen Konflikt aus: «Sie fühlen sich der Schweiz voll zugehörig und dann wird ihnen signalisiert, dass ihre Religion nicht mit hiesigen Werten vereinbar sei.»

Kürzlich eingewanderte Musliminnen und Muslime sind hingegen möglicherweise noch nicht eingebürgert und somit von politischen Prozessen ausgeschlossen. «Etliche Migrierte haben auch mehr Mühe, eine Arbeitsstelle und Wohnung zu finden. Das mindert ihr Vertrauen», erklärt Soziologe Ueli Mäder von der Uni Basel.

«Stark politisiert und medial aufgebauscht»

Auch Pascal Gemperli von der FIDS (Föderation islamischer Dachorganisationen Schweiz) kritisiert den politischen und medialen Diskurs rund um das Thema Islam.

Frustrierend sei insbesondere, «wenn Themen unverhältnismässig stark politisiert oder medial aufgebauscht werden». Als Beispiel nennt Gemperli Debatten über muslimische Grabfelder.

Ist die muslimische Gemeinschaft in der Schweiz gut integriert?

«Solche Situationen können das Gefühl verstärken, dass muslimische Bürgerinnen und Bürger sich stärker als andere rechtfertigen müssen.» Das könne sich «in Einzelfällen auch auf das Vertrauen in politische Akteure oder Behörden ausweiten».

Doch Gemperli nennt auch positive Aspekte der Schweizer Gesellschaft: «Die Nähe zwischen Bürgern und politischen Entscheidungsträgern, die dezentrale politische Struktur sowie die politische Partizipation.»

Diese Faktoren, zusammen mit den meist hohen Lebensstandards in der Schweiz, würden negative Wahrnehmungen oft ausgleichen.

Hansjörg Schmid Islamwissenschaftler
Hansjörg Schmid ist Direktor des Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft an der Universität Freiburg. - unifr.ch

Insgesamt kann Gemperli daher keine «besondere Politikverdrossenheit innerhalb der muslimischen Gemeinschaft in der Schweiz, die über die allgemeine politische Skepsis der Gesamtbevölkerung hinausgeht», feststellen.

Wie kann das Vertrauen verstärkt werden?

Eigentlich würde es wenig brauchen, um bereits viel für die muslimische Gesellschaft zu tun, appelliert Gemperli dennoch. «Es sind oft kleine, unkomplizierte Aktionen, die aber eine grosse Wirkung haben.»

Die Politik soll «sichtbar machen, dass sie für alle Bürgerinnen und Bürger da ist – auch für die muslimische Gemeinschaft». Ein einfach umsetzbarer Faktor, wie Gemperli meint.

Für das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik seien persönliche soziale Sicherheit und politische Stabilität essenziell, sagt Ueli Mäder. «Zudem verlässliche Zukunftsaussichten, gepflegte Debatten und gute Chancen, mit andern zu kooperieren und kommunizieren.»

Wichtig seien auch alle Massnahmen, «die einer Entfremdung entgegenwirken», so Schmid.

Zusammenhang von Vertrauen und Gewalttaten

Insbesondere in Anbetracht der vermehrten islamistisch motivierten Anschläge in Deutschland lässt der Vertrauensverlust von Musliminnen und Muslimen aufhorchen.

Schmid relativiert jedoch: «Vertrauensverlust allein ist keine Erklärung von Gewalttaten.»

Attentat München Gedenken
Kerzen und Blumen am Strassenrand in der Nähe des Stiglmaierplatzes in München. - keystone

Es handle sich um ein allgemein verbreitetes Gefühl in Deutschland. «Dennoch werden nicht alle Menschen, die diesen Verlust spüren, gewalttätig.» Damit eine Person ein Attentat durchführe, müssten andere schwerwiegende Faktoren hinzukommen.

In der Schweiz sollten solche Zusammenhänge wohl sogar noch eine kleinere Rolle spielen als in Deutschland. «Da die soziale und wirtschaftliche Einbindung und Teilhabe in der Schweiz stärker ist, entsteht weniger Raum für individuelle Abwendung und Frustration», so Schmid.

Der Islamwissenschaftler mahnt: «Es bleibt daher eine zentrale Aufgabe, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern.»

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