Warum werden haarige Frauenbeine als politisch wahrgenommen?
Unrasiert ist nicht einfach unrasiert. Eigentlich vollkommen natürlich, lösen behaarte Frauenbeine bei vielen Befremdung aus. Warum ist das so?
Das Wichtigste in Kürze
- Kürzlich entbrannte einmal mehr eine hitzige Debatte über weibliche Körperbehaarung.
- Oft werden unrasierte Beine bei Frauen direkt als politisches Statement wahrgenommen.
- Dahinter steckt ein mittlerweile hundert Jahre altes Schönheitsideal.
Haarige Beine sind kein seltener Anblick – jedenfalls bei Männern. Aber eine Frau, die in der Badi ihre Beinhaarpracht zur Schau stellt, gilt direkt als mutig. Oder auch als ungepflegt.
Fest steht: Egal ob Mann oder Frau, Körperbehaarung ist etwas Natürliches. Wer keine haben will, muss aktiv dagegen vorgehen – das kostet Zeit und Geld. Kein Wunder also, gibt es Menschen, die sich dagegen entscheiden. Doch warum sind unrasierte Frauenbeine überhaupt zu einem derartigen Tabu geworden?
«Wer von Geschlechterstereotypen abweicht, stösst auf Widerstand», sagt die Berner SP-Politikerin und Stadtratskandidatin Valentina Achermann. Diese Rollenbilder seien so stark in der Gesellschaft verankert, dass Abweichungen als politisches Statement wahrgenommen würden. Sie fordert: «Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir zu einer Gesellschaft werden, in der jede und jeder respektiert wird.»
Achermann sieht sich selbst nicht als Verfechterin von haarigen Frauenbeinen. Vielmehr wünscht sie sich, dass jede Frau für sich selber entscheiden kann, was sie mit ihrem Körper machen will. «Ganz im Sinne von ‹My body, my choice›.» (Deutsch: «Mein Körper, meine Entscheidung».)
Haarige Frage löst Kritikwelle aus
Die Diskussion um weibliche Körperbehaarung wurde Anfang der Woche von der «Berner Zeitung» losgetreten. In einem Artikel fragte sie: «Darf man als Frau mit unrasierten Beinen herumlaufen?» Das brachte der Redaktion haufenweise Kritik ein – schon mit der blossen Fragestellung tun sich viele schwer.
Denn diese impliziere, dass «Nein» eine legitime Antwort wäre, stört sich auch Valentina Achermann. «Und dass wir es uns immer noch erlauben dürfen, Frauen vorzuschreiben, wie sie sich zu kleiden oder zu verhalten haben.»
Für sie ist der Skandal an der Sache nicht unbedingt, dass es Leute gibt, die unrasierte Frauenbeine als abstossend empfinden. Denn das sei nichts Neues. «Viel schlimmer finde ich die Frage, ob man als Frau so herumlaufen darf.»
Wirtschaft als Trend-Treiber
Hinter den rasierten Frauenbeinen, die in der westlichen Welt als Ideal gelten, steckt ein Jahrhunderte alter Trend aus den USA. Zwischen 1915 und 1945 galt es dort zunehmend als ästhetisch und feminin, sich die Körperhaare zu rasieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg erreichte das Phänomen allmählich auch Europa.
Treiber der haarlosen Bewegung waren drei Geschäftszweige: Die Damenmodeindustrie, die Männer-Haarentfernungsbranche und Frauenmagazine.
Sie erkannten Frauen neu als Konsumentinnen und wollten von ihnen profitieren. Zeitgleich wurden die Säume der Kleider höher und die Ärmel kürzer. Damit stieg der Druck für Frauen, sich die Körperhaare zu entfernen.
Haare bald wieder im Trend?
Die Geschichte zeigt aber, dass Menschen beider Geschlechter in unterschiedlichen Kulturen und zu verschiedenen Zeiten ihre Körperhaare entfernten oder sie eben auch spriessen liessen.
Im 4. Jahrhundert etwa rasierten sich die Frauen im alten Ägypten die Schamhaare aus ästhetischen Gründen. Auch bei den Römern und alten Griechen galten Körperhaare als unzivilisiert. Die Rasur war immer mal wieder in – und dann wieder out.
Vielleicht kommen Körperhaare bei Frauen also bald wieder in Mode. Entsprechende Anstösse gibt es seit längerem: Ex-Miss-Schweiz Dominique Rinderknecht und ihre Freundin Tamy Glauser beispielsweise riefen kürzlich weibliche Fans dazu auf, sich die Achselhaare wachsen zu lassen. Und auch Influencerin Anja Zeidler, Popsängerin Rihanna und Jackson-Tochter Paris verzichten ab und zu auf eine Rasur.